Kant: AA X, Briefwechsel 1786 , Seite 455 |
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01 | Aber, wie gesagt, mag meinetwegen Moses M. und Berlin stehen | ||||||
02 | oder fallen! Nur die Wahrheit u. die Vernunft wünschte ich nicht | ||||||
03 | so sichtbarlich gefährdet. Und wenn affektirte Genieschwärmer dies auf | ||||||
04 | so stolze, hochfahrende, diktatorische Art thun; wünschte ich, daß Männer, | ||||||
05 | die bis itzt das Heft der Philosophie in Händen geführt, u. vom ganzen | ||||||
06 | denkenden Publikum dankbar als sichere u. erfahrne Leiter sind anerkannt | ||||||
07 | worden, sich öffentlich dagegen erklären mögten, damit die Leser nicht | ||||||
08 | von unberufnen u. unkundigen Steurern irre geführt, u. auf traurige | ||||||
09 | Klippen statt fruchtbarer Inseln gebracht werden. Wie sehr mußte es | ||||||
10 | nicht uns alle erfreuen, gleich Anfangs Ihren Entschluß zu erfahren, | ||||||
11 | ein Wort zur Zeit gegen diese wahrhaft gefährliche philosophische | ||||||
12 | Schwärmerei sagen zu wollen. Nur von Ihnen, vortreflicher Mann, | ||||||
13 | konnte man eine gründliche lehrreiche Zurechtweisung erwarten. Itzt | ||||||
14 | aber hat vollends der seltsame Iakobi, der um sich nur wichtig zu | ||||||
15 | machen sich alles erlaubt, bald sich als einzeln u. unterdrückt u. verfolgt | ||||||
16 | darstellt, bald aber wiederum seine Meinung von allen vernünftigen | ||||||
17 | Menschen, und von den größten Denkern (Leibnitz, Lessing, Kant, | ||||||
18 | Hemsterhuis, dem Verf. der Resultate), und von allen schätzungswehrten | ||||||
19 | frommen Christen (Lavater, Haman u.s.w.) angenommen vorstellt; | ||||||
20 | so daß Märtyrthum u. Uebereinstimmung der besten Zeugnisse ihm | ||||||
21 | zugleich dienen soll; - dieser heftige alles aufbietende Mensch hat itzt, | ||||||
22 | meiner Meinung nach, Sie, verehrungswürdiger Mann, auf eine höchst | ||||||
23 | indiskrete Art so in seinen Streit hineingezogen, daß Sie der guten | ||||||
24 | Sache und der Beruhigung Ihrer Zeitgenossen es noch mehr schuldig | ||||||
25 | zu sein scheinen, Sich darüber zu erklären. Es ist natürlich, daß den | ||||||
26 | wenigsten Lesern die philosophischen Systeme geläufig sind oder Ihrem | ||||||
27 | Gedächtnisse sogleich zu Gebote stehn; zumal ein so neues, so tief durchdachtes, | ||||||
28 | so ungewöhnlich scharfsinniges, als das Ihrige. Wenn die | ||||||
29 | Leser nun finden, daß ein allenthalben auf Wahrheit u. Unschuld | ||||||
30 | trotzender Schriftsteller Sie als seinen übereinstimmenden Zeugen anführt; | ||||||
31 | so wissen sie nicht was sie denken sollen, u. glauben wohl am | ||||||
32 | Ende seinen Anführungen. Ich kann Sie versichern, daß dies schon | ||||||
33 | der Fall bei manchen sehr achtungswürdigen Personen ist, die dadurch | ||||||
34 | irre gemacht sind. Keine gehässigere Beschuldigung aber kann wohl | ||||||
35 | leicht ein aufgeklärter Philosoph erfahren, als die: daß seine Grundsätze | ||||||
36 | entschiednen dogmatischen Atheismus, u. dadurch die | ||||||
37 | Schwärmerei beförderten. Schwärmerei durch Atheismus! das | ||||||
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