Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 330 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | alle Aufmerksamkeit deren ich fähig bin, auf das Werk gewandt; ich | ||||||
02 | habe es ganz durchgelesen. Ich glaube, daß ich den Sinn der meisten | ||||||
03 | Stellen einzeln, richtig gefaßt habe: ich bin nicht so gewiß, ob ich das | ||||||
04 | Ganze richtig überschauet habe. - Ich machte mir Anfangs, einen | ||||||
05 | vollständigen Auszug, der mehr als 12 Bogen betrug, untermischt mit | ||||||
06 | den Ideen, die mir während des Lesens sich aufdrangen. Es thut | ||||||
07 | mir leid, daß dieser Auszug verlohren gegangen ist: er war vielleicht, | ||||||
08 | wie oft meine ersten Ideen besser, als was ich nachher daraus gemacht | ||||||
09 | habe. Aus diesen 12 Bogen, die niemals eine Zeitungs=Recension | ||||||
10 | werden konten, arbeitete ich, allerdings mit vieler Mühe, (da ich auf | ||||||
11 | der einen Seite mich einschränken, auf der andern verständlich seyn u. | ||||||
12 | dem Buche ein Gnüge thun wollte) eine Recension aus. Aber auch | ||||||
13 | diese war weitläuftig genung: u. es ist in der That nicht möglich, | ||||||
14 | von einem Buche, dessen Sprache erst dem Leser bekant gemacht werden | ||||||
15 | muß, eine kurze Anzeige zu machen, die nicht absurd sey. - Diese | ||||||
16 | letztre, ob ich gleich einsahe, daß sie länger wäre, als die längste der | ||||||
17 | Gottingischen Recensionen, schickte ich ein: in der That weil ich selbst | ||||||
18 | nicht sie abzukürzen wußte ohne sie zu verstümmeln. Ich schmeichelte | ||||||
19 | mir, daß man in Göttingen, entweder der Größe u. Wichtigkeit des | ||||||
20 | Buchs wegen, von der gewöhnlichen Regel abweichen, oder, daß, wenn | ||||||
21 | die Recension durchaus zu lang wäre, man besser als ich verstehen | ||||||
22 | würde, sie zu verkürzen. Diese Absendung geschah von Leipzig aus | ||||||
23 | auf meiner Rückreise. - Lange Zeit, (nachdem ich in mein Vaterland | ||||||
24 | Schlesien zurückgekommen war) erscheint nichts: endlich erhalte ich das | ||||||
25 | Blat, worin das stehen soll, was meine Recension heißt. Sie können | ||||||
26 | glauben, daß Sie selbst nicht so viel Unwillen oder Mißvergnügen bey | ||||||
27 | dem Anblick derselben haben empfinden können, als ich. Einige phrases | ||||||
28 | aus meinem Mscrpt waren in der That beybehalten; aber sie betragen | ||||||
29 | gewiß nicht den 10ten Theil meiner, u. nicht den 3ten der Göttingischen | ||||||
30 | Recension. Ich sah, daß meine Arbeit, die wirklich nicht ohne Schwierigkeit | ||||||
31 | gewesen war, so gut als vergeblich geworden, u. nicht nur vergeblich, | ||||||
32 | sondern schädlich. Denn wenn der Gottingische Gelehrte, der | ||||||
33 | meine Recension abkürzte u. interpolirte, auch nach einer flüchtigen | ||||||
34 | Lecture Ihres Buchs etwas eignes darüber gemacht hätte: so würde | ||||||
35 | es besser u., wenigstens zusammenhängender geworden seyn. Um mich | ||||||
36 | bey meinen vertrauten Freunden, welche wußten, daß ich für Göttingen | ||||||
37 | gearbeitet hatte, zu rechtfertigen; u. bey diesen wenigstens den nachtheiligen | ||||||
[ Seite 329 ] [ Seite 331 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |