Kant: AA X, Briefwechsel 1783 , Seite 329

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 glaube auch nicht, daß irgend ein anderer Mitarbeiter dieser Zeitung,      
  02 wenn er allein gearbeitet hätte, etwas so übel zusammenhängendes      
  03 würde hervorgebracht haben. Aber ich habe doch einigen Antheil daran.      
  04 Und da mir daran gelegen ist, daß ein Mann den ich von jeher sehr      
  05 hochgeschätzt habe, mich wenigstens für einen ehrlichen Mann erkennt,      
  06 wenn er mich gleich als einen seichten Metaphysiker ansehen mag: so      
  07 trete ich aus dem Incognito, so wie Sie es an einer Stelle Ihrer      
  08 Prolegomenen verlangen. Um Sie aber in den Stand zu setzen, richtig      
  09 zu urtheilen: muß ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen. Ich bin      
  10 kein Mitarbeiter der Göttingischen Zeitung. Vor zwey Iahren that      
  11 ich, (nachdem ich viele Iahre, äußerst kränklich, müßig u. im Dunkeln,      
  12 in meinem Vaterlande zugebracht hatte) eine Reise nach Leipzig, durch      
  13 die Hannöverischen Lande, u. bis Göttingen. Da ich viele Erweisungen      
  14 von Höflichkeit u. Freundschaft, von Heyne dem Director, u. mehrern      
  15 Mitarbeitern dieser Zeitung, erhielt: so weiß ich nicht, welche Bewegung      
  16 von Dankbarkeit, mit einiger Eigenliebe vermischt, mich antrieb, mich      
  17 freywillig zu dem Beytrage einer Recension zu erbieten. Da eben      
  18 damals Ihre Critik der reinen Vernunft herausgekommen war, u. ich      
  19 mir von einem großen Werke das Kanten zum Verfasser hätte, ein      
  20 sehr großes Vergnügen versprach, da mir seine vorhergegangenen kleinen      
  21 Schriften schon so vieles gemacht hatten; u. da ich es zugleich für      
  22 mich selbst für nützlich hielt, ein motif zu haben, dieses Buch mit mehr      
  23 als gewöhnlicher Aufmerksamkeit durchzulesen: so erklärte ich mich, ehe      
  24 ich noch Ihr Werk gesehen hatte, es zu recensiren. Dieses Versprechen      
  25 war übereilt u. dieß ist in der That, die einzige Thorheit deren ich      
  26 mir bey der Sache bewußt bin, u. die mich noch reut. Alles folgende      
  27 ist entweder eine Folge meines wirklichen Unvermögens, oder      
  28 Unglück. Ich erkante bald, da ich das Werk anfieng zu lesen, daß ich      
  29 unrecht gewählt hatte; daß diese Lecture, besonders jetzt, da ich auf      
  30 der Reise, zerstreut, noch mit andrer Arbeit beschäftigt, seit vielen      
  31 Iahren geschwächt, u. auch damals, wie immer, kränklich war, für mich      
  32 zu schwer sey. Ich gestehe Ihnen, ich weiß kein Buch in der Welt,      
  33 das zu lesen mir soviel Anstrengung gekostet hätte: u. wenn ich mich      
  34 nicht durch mein einmal gegebnes Wort gebunden geglaubt hätte, so      
  35 würde ich die Durchlesung desselben auf bessere Zeiten ausgesetzt haben,      
  36 wo mein Kopf und mein Körper stärker gewesen wären. Ich bin indeß      
  37 nicht leichtsinnig zu Werke gegangen. Ich habe alle meine Kräfte, u.      
           
     

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