Kant: AA X, Briefwechsel 1775 , Seite 176

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Er führt sich sonst gut auf, bey der Zulage, die er von Ihrer letzteren      
  02 remesse ieden Löhnungstag bekömmt. Allein es ist etwas davon auf      
  03 die Verbesserung seiner kleinen Mondirungsstücke verwandt worden,      
  04 daher ich, um diesen Zuschus nicht aufhören zu lassen, auf Ersuchen,      
  05 3 reichsthaler oder 1 Dukat holl: vorgeschossen habe, welche bis gegen      
  06 Ende des Juniusmonaths langen werden, wo er verhofft, durch Ihre      
  07 Vermittelung, die fernere Zulage zu bekommen. Ich habe, über iene,      
  08 die Qvittung und einen Brief, den sich Sultzer hat schreiben lassen      
  09 und der nicht viel sagt, mit beygeschlossen.      
           
  10 Sie verlangen mein Urtheil über Ihre Abhandlung vom Glauben      
  11 und dem Gebethe. Wissen Sie auch an wen Sie sich deshalb      
  12 wenden? An einen, der kein Mittel kennt, was in dem letzten Augenblicke      
  13 des Lebens Stich hält, als die reineste Aufrichtigkeit in Ansehung      
  14 der verborgensten Gesinnungen des Herzens und der es mit      
  15 Hiob vor ein Verbrechen hält Gott zu schmeichlen und innere Bekentnisse      
  16 zu thun, welche vielleicht die Furcht erzwungen hat und womit      
  17 das Gemüth nicht in freyem Glauben zusammenstimmt. Ich unterscheide      
  18 die Lehre Christi von der Nachricht die wir von der Lehre      
  19 Christi haben und, um iene rein herauszubekommen, suche ich zuvörderst      
  20 die moralische Lehre abgesondert von allen neutestamentischen      
  21 Satzungen herauszuziehen. Diese ist gewiß die Grundlehre des      
  22 Evangelii, das übrige kan nur die Hülfslehre desselben seyn, weil die      
  23 letztere nur sagt: was Gott gethan um unserer Gebrechlichkeit in Ansehung      
  24 der Rechtfertigung vor ihm zu Hülfe zu kommen, die erstere      
  25 aber, was wir thun müssen um uns alles dessen würdig zu machen.      
  26 Wenn wir das Geheimnis, von dem was Gott seiner seits thut, auch      
  27 gar nicht wüsten, sondern nur überzeugt wären: daß bey der Heiligkeit      
  28 seines Gesetzes und dem unüberwindlichen Bösen unseres Herzens,      
  29 Gott nothwendig irgend eine Ergänzung unsrer Mangelhaftigkeit in      
  30 den Tiefen seiner Rathschlüsse verborgen haben müsse, worauf wir      
  31 demüthig vertrauen können, wenn wir nur so viel thun als in unsern      
  32 Kräften ist um derselben nicht unwürdig zu seyn; so sind wir in demienigen      
  33 was uns angeht hinreichend belehrt, die Art wie die göttliche      
  34 Gütigkeit uns Beyhülfe wiederfahren läßt, mag seyn welche sie      
  35 wolle. Und eben darin: daß unser desfals auf Gott gesetztes Vertrauen      
  36 unbedingt ist, d. i. ohne einen Vorwitz die Art wissen zu      
  37 wollen, wie er dieses Werk ausführen wolle und noch vielmehr ohne      
           
     

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