Kant: AA X, Briefwechsel 1774 , Seite 156 |
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Text (Kant):
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01 | Wenn Sie werther Freund meinen Begrif, von der Hauptabsicht | ||||||
02 | des Verfassers, worinn zu verbessern finden so bitte mir Ihre Meinung in | ||||||
03 | einigen Zeilen aus; aber wo möglich in der Sprache der Menschen. Denn | ||||||
04 | ich armer Erdensohn bin zu der Göttersprache der Anschauenden | ||||||
05 | Vernunft garnicht organisirt. Was man mir aus den gemeinen Begriffen | ||||||
06 | nach logischer Regel vorbuchstabiren kan das erreiche ich noch | ||||||
07 | wohl. Auch verlange ich nichts weiter als das thema des Verfassers | ||||||
08 | zu verstehen denn es in seiner gantzen Würde mit Evidentz zu erkennen | ||||||
09 | ist nicht eine Sache worauf ich Anspruch mache. | ||||||
10 | Kant. | ||||||
87. | |||||||
12 | Von Iohann Georg Hamann. | ||||||
13 | 7. April 1774. | ||||||
14 | P. P. | ||||||
15 | Gleich nach Empfang meines Buchs habe selbiges zu meinem | ||||||
16 | Freunde dem D Lindner gebracht, und ich bin nicht im stande das | ||||||
17 | mir mitgetheilte Skelett als nach einer genauen Vergleichung zu verstehen | ||||||
18 | und zu beurtheilen. Vor der Hand theile meinen Begriff von | ||||||
19 | der Hauptabsicht unsers Autors ohne Buch und aus den bloßen Eindrücken | ||||||
20 | meines Gedächtnisses mit, in folgenden Puncten: | ||||||
21 | I. Die mosaische Schöpfungsgeschichte ist nicht von Mose selbst; | ||||||
22 | sondern von den StammVätern des menschl. Geschlechts. Dies | ||||||
23 | Altertum allein macht sie uns zwar ehrwürdig; aber verräht | ||||||
24 | zugleich die wahre Kindheit unsres Geschlechts. - - - | ||||||
25 | II. Diese Origines sind kein Gedicht, noch morgenländische Allegorie, | ||||||
26 | am wenigsten ägyptische Hieroglyphen: sondern eine | ||||||
27 | historische Urkunde im allereigentlichsten Verstande - ein | ||||||
28 | ächtes Familienstück - ja zuverläßiger als das gemeinste | ||||||
29 | physicalische Experiment. | ||||||
30 | III. Diese mosaische Archäologie ist der einzige und beste Schlüßel | ||||||
31 | aller bisherigen Räthsel und Mährchen der ältesten morgenländischen | ||||||
32 | und homerischen Weisheit, die von jeher implicite | ||||||
33 | bewundert und verschmäht worden ohne jemals von den naseweisesten | ||||||
34 | und kriechendsten Kritikern verstanden zu seyn | ||||||
35 | das aus dieser Wiege des menschl. Geschlechts zurückgeworfene | ||||||
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