Kant: AA X, Briefwechsel 1771 , Seite 125

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wirklich das dafür was er zu empfinden vorgab, aber die Zeit hat      
  02 ihm einen scharfern Blick in das Innere der Wißenschaft thun laßen,      
  03 der auf einmal seine wärmsten Gesinnungen in einen kalten Widerwillen      
  04 verwandelte; also ist das Schicksal aller unserer Vergnügungen      
  05 daßselbe, körperliche oder Seele Vergnügungen, sie mögen Namen haben      
  06 wie sie wollen, alle berauschen uns einige Augenblicke, setzen unser      
  07 Blut in Wallung, laßen uns eine kurze Zeit Kinder des Himels      
  08 seyn, aber bald darauf folgt die beschwerlichste von allen Martern,      
  09 der Eckel und legt uns Reihen von Bußjahren für die flüchtigen      
  10 Augenblicke des Genußes auf. Was macht man uns denn für Geschrey      
  11 von den B[e]lustigungen des Geistes, was für Lerm von der Glükseligkeit      
  12 die aus den Werken des Verstandes entspringet und der      
  13 Götter ihre am nächsten ist? weg mit dem Plunder, wenn er nichts      
  14 mehr vermag als was die Befriedigung einer jeden Begirde leisten      
  15 kann, und gewiß noch weniger vermag er alsdenn, da der darauf      
  16 folgende Eckel über die vergebens angewandte Mühe und Zeit, eine      
  17 unaufhörliche Reue in uns erwecken muß. Und schon war ich wirklich      
  18 entschloßen diesem Schicksale bey zeiten zu entgehen, alle Wißenschaften      
  19 ferner zu entsagen und so gar mein schon halb zur Welt gebrachtes      
  20 Kind in der Geburt zu ersticken; allein Ihr Brief rief mich noch zu      
  21 rechter Zeit von meiner Unbesonnenheit zurück: Sie sind noch derselbe      
  22 Verehrer der Spekulation als jemals, nur eine mißliche Laune kann      
  23 Ihnen einmal das Gegentheil haben sagen laßen, Sie sind wieder      
  24 beschäftigt der Welt ein großes Werk zu liefren, Sie sagen noch, da      
  25 der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts an den Wahrheiten läge      
  26 die über den Grenzen der Erkenntniß festgesetzt werden, o welch ein      
  27 sicheres Pfand ist dieses Geständniß von dem größten Menschenfreund      
  28 in meinen Händen, daß er nie aufhören kann dasjenige zu beherzigen      
  29 was zu ihrer Glückseligkeit das einzige Mittel ist.      
           
  30 Mit der fahrende Post empfangen Sie meine Schrift, in welchem      
  31 Sie allem Vermuthen nach, wenig finden werden, das in Ihrem      
  32 unter den Händen habenden Werke einige Verändrungen verursachen      
  33 sollte. Niemanden habe ich es weniger nöthig zu sagen als Ihnen      
  34 theurster Herr Profeßor wie klein mein ganz Verdienst in dieser      
  35 Schrift ist. Ich habe bloß Ihre Schrift vor Augen gehabt, den Faden      
  36 Ihrer Gedanken gefolgt, und nur hie und da einige Digreßionen      
  37 gemacht die mir mehr im Arbeiten einfielen als daß ich sie vorher      
           
     

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