Kant: AA X, Briefwechsel 1770 , Seite 106 |
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01 | als ewig und unveränderlich angesehen werden müßen. Dieses merkte ich | ||||||
02 | Alethiol. § 81. 87. bloß an. Denn der Grund, warum Wahrheiten, | ||||||
03 | so und nicht anders an Zeit und Ort gebunden sind, ist nicht so | ||||||
04 | leicht herauszubringen, so wichtig er an sich auch seyn mag. | ||||||
05 | Übrigens war daselbst nur von existirenden Dingen die Rede. | ||||||
06 | Es sind aber die Geometrische und Chronometrischen Wahrheiten nicht | ||||||
07 | zufällig sondern ganz wesentlich an Zeit und Raum gebunden, und | ||||||
08 | sofern die Begriffe von Zeit und Raum ewig sind, gehören die | ||||||
09 | Geometrischen und Chronometrischen Wahrheiten mit unter die ewigen | ||||||
10 | unveränderlichen Wahrheiten. | ||||||
11 | Nun fragen Euer Hochedelgeb. ob diese Wahrheiten sinnlich sind? | ||||||
12 | Ich kann es ganz wohl zugeben. Es scheint, daß die Schwürigkeit, | ||||||
13 | so in den Begriffen von Zeit und Ort ligt, ohne Rücksicht auf diese | ||||||
14 | Frage vorgetragen werden könne. Die vier ersten Sätze § 14 scheinen | ||||||
15 | mir ganz richtig, und besonders ist es sehr gut, daß Euer HochEdelgeb. | ||||||
16 | im 4ten auf den wahren Begriff der Continuitaet dringen, der | ||||||
17 | in der Metaphysic so viel als ganz verlohren gegangen zu seyn schien, | ||||||
18 | weil man ihn bey einem Complexus Entium simplicium durchaus | ||||||
19 | anbringen wollte, und ihn daher verändern mußte. Die Schwürigkeit | ||||||
20 | ligt nun eigentlich in dem 5ten Satze. Euer HochEdelgeb. geben zwar | ||||||
21 | den Satz: Tempus est subiectiua conditio etc . nicht als eine Definition | ||||||
22 | an. Er soll aber doch etwas der Zeit eigenes und wesentliches anzeigen. | ||||||
23 | Die Zeit ist unstreitig eine Conditio sine qua non , und so | ||||||
24 | gehört sie mit zu der Vorstellung sinnlicher und jeder Dinge die an | ||||||
25 | Zeit und Ort gebunden sind. Sie ist auch besonders den Menschen | ||||||
26 | zu dieser Vorstellung nöthig. Sie ist auch ein Intuitus purus , keine | ||||||
27 | Substanz, kein bloßes Verhältnis. Sie differiert von der Dauer wie | ||||||
28 | der Ort von dem Raume. Sie ist eine besondere Bestimmung der | ||||||
29 | Dauer. Sie ist auch kein accidens, das mit der Substanz wegfällt etc. | ||||||
30 | Diese Sätze mögen alle angehen. Sie führen auf keine Definition, | ||||||
31 | und die beste Definition wird wohl immer die seyn, daß Zeit Zeit ist, | ||||||
32 | dafern man sie nicht, und zwar auf eine sehr mißliche Art, durch ihre | ||||||
33 | Verhältnisse zu den Dingen die in der Zeit sind, definiren, und damit | ||||||
34 | einen logischen Circul mit unterlaufen lassen will. Die Zeit ist ein | ||||||
35 | bestimterer Begriff als die Dauer, und daher gibt sie auch mehr | ||||||
36 | verneinende Sätze. Z. E. was in der Zeit ist, dauert. Aber nicht | ||||||
37 | umgekehrt, so fern man zum in der Zeit seyn einen Anfang und | ||||||
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