Kant: AA X, Briefwechsel 1766 , Seite 069 |
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39. | |||||||
02 | An Moses Mendelssohn. | ||||||
03 | 8. April 1766. | ||||||
04 | Mein Herr | ||||||
05 | Die gütige Bemühung die Sie in Bestellung einiger überschickten | ||||||
06 | Schriften auf mein ergebenstes Ersuchen zu übernehmen beliebt haben | ||||||
07 | erwiedere ich mit dem ergebensten Dancke und der Bereitwilligkeit zu | ||||||
08 | allen gefälligen Gegendiensten. | ||||||
09 | Die Befremdung die Sie über den Ton der kleinen Schrift äußeren | ||||||
10 | ist mir ein Beweis der guten Meinung die Sie sich von meinem | ||||||
11 | Charakter der Aufrichtigkeit gemacht haben und selbst der Unwille, | ||||||
12 | denselben hierinn nur zweydeutig ausgedrückt zu sehen, ist mir schätzbar | ||||||
13 | und angenehm. In der That werden Sie auch niemals Ursache haben | ||||||
14 | diese Meinung von mir zu ändern denn was es auch vor Fehler geben | ||||||
15 | mag denen die standhafteste Entschließung nicht allemal völlig ausweichen | ||||||
16 | kan so ist doch die wetterwendische und auf den Schein angelegte | ||||||
17 | Gemüthsart dasienige worinn ich sicherlich niemals gerathen | ||||||
18 | werde nachdem ich schon den größesten Theil meiner Lebenszeit hindurch | ||||||
19 | gelernet habe das meiste von demienigen zu entbehren und zu verachten | ||||||
20 | was den Charakter zu corrumpiren pflegt und also der Verlust der | ||||||
21 | Selbstbilligung die aus dem Bewustseyn einer unverstellten Gesinnung | ||||||
22 | entspringt das größeste Übel seyn würde was mir nur immer begegnen | ||||||
23 | könte aber ganz gewiß niemals begegnen wird. Zwar dencke ich vieles | ||||||
24 | mit der allerkläresten Überzeugung und zu meiner großen Zufriedenheit | ||||||
25 | was ich niemals den Muth haben werde zu sagen; niemals aber | ||||||
26 | werde ich etwas sagen was ich nicht dencke. | ||||||
27 | Ich weis nicht ob Sie bey Durchlesung dieser in ziemlicher | ||||||
28 | Unordnung abgefaßten Schrift einige Kennzeichen von dem Unwillen | ||||||
29 | werden bemerkt haben womit ich sie geschrieben habe; denn da ich einmal | ||||||
30 | durch die Vorwitzige Erkundigung nach den visionen des Schwedenbergs | ||||||
31 | sowohl bey Persohnen die ihn Gelegenheit hatten selbst zu kennen | ||||||
32 | als auch vermittelst einiger Correspondenz und zuletzt durch die Herbeyschaffung | ||||||
33 | seiner Werke viel hatte zu reden gegeben so sahe ich wohl | ||||||
34 | daß ich nicht eher vor die unabläßige Nachfrage würde Ruhe haben | ||||||
35 | als bis ich mich der bey mir vermutheten Kenntnis aller dieser | ||||||
36 | Anecdoten entledigt hätte. | ||||||
37 | In der That wurde es mir schweer die Methode zu ersinnen nach | ||||||
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