Kant: AA X, Briefwechsel 1759 , Seite 021

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wenn Sie es für eine Kleinigkeit halten, sich in ein Kind zu verwandeln,      
  02 trotz Ihrer Gelehrsamkeit! Oder trauen Sie Kindern mehr      
  03 zu, unterdessen ihre erwachsene Zuhörer Mühe haben es in der Geduld      
  04 und Geschwindigkeit des Denkens mit Ihnen auszuhalten? Da überdem      
  05 zu Ihrem Entwurf eine vorzügliche Kenntniß der Kinderwelt gehört,      
  06 die sich weder in der galanten noch akademischen erwerben läßt; so      
  07 kommt mir alles so wunderbar vor, daß ich aus bloßer Neigung zum      
  08 Wunderbaren schon ein blaues Auge für einen dummkühnen Ritt      
  09 wagen würde.      
           
  10 Gesetzt Kützel allein gäbe mir den Muth gegenwärtiges zu      
  11 schreiben; so würde ein Philosoph wie Sie auch dabey zu gewinnen      
  12 wissen, und seine Moralität üben können, wo es nicht lohnte seine      
  13 Theorien sehen zu laßen. Meine Absichten werden Sie unterdessen      
  14 diesmal übersehen; weil die wenigsten Maschinen zu ihrem nützlichen      
  15 Gebrauch eine mathematische Einsicht erfordern.      
           
  16 Gelehrten zu predigen, ist eben so leicht als ehrliche Leute zu betrügen:      
  17 auch weder Gefahr noch Verantwortung dabey, für Gelehrte      
  18 zu schreiben; weil die meisten schon so verkehrt sind, daß der abentheuerlichste      
  19 Autor ihre Denkungsart nicht mehr verwirren kann. Die      
  20 blinden Heiden hatten aber vor Kindern Ehrerbietung, und ein getaufter      
  21 Philosoph wird wissen, daß mehr dazu gehört für Kinder zu      
  22 schreiben als ein Fontenellischer Witz und eine buhlerische Schreibart.      
  23 Was schöne Geister versteinert, und schöne Marmorsäulen begeistert;      
  24 dadurch würde man an Kindern die Majestät ihrer Unschuld      
  25 beleidigen.      
           
  26 Sich ein Lob aus dem Munde der Kinder und Säuglinge zu      
  27 bereiten! - an diesem Ehrgeitz und Geschmack Theil zu nehmen, ist      
  28 kein gemeines Geschäfte, daß man nicht mit dem Raube bunter      
  29 Federn, sondern mit einer freywilligen Entäußerung aller Ueberlegenheit      
  30 an Alter und Weisheit, und mit einer Verläugnung aller      
  31 Eitelkeit darauf anfangen muß. Ein philosophisches Buch für Kinder      
  32 würde daher so einfältig, thöricht und abgeschmackt aussehen müssen,      
  33 als ein Göttliches Buch, das für Menschen geschrieben. Nun prüfen      
  34 Sie sich, ob Sie so viel Herz haben, der Verfasser einer einfältigen,      
  35 thörichten und abgeschmackten Naturlehre zu sein? Haben Sie Herz,      
  36 so sind Sie auch ein Philosoph für Kinder. Vale et      
  37 sapero AVDE !      
           
     

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