Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 497 |
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| 01 | hier in der Unwissenheit und in der Unschuld, die mit ihr verbunden ist, | ||||||
| 02 | zu bewahren. Durch Schweigen macht man das Übel aber nur noch ärger. | ||||||
| 03 | Dieses sieht man an der Erziehung unserer Vorfahren. Bei der Erziehung | ||||||
| 04 | in neuern Zeiten nimmt man richtig an, daß man unverhohlen, deutlich | ||||||
| 05 | und bestimmt mit dem Jünglinge davon reden müsse. Es ist dies freilich ein | ||||||
| 06 | delicater Punkt, weil man ihn nicht gern als den Gegenstand eines öffentlichen | ||||||
| 07 | Gespräches ansieht. Alles wird aber dadurch gut gemacht, daß man | ||||||
| 08 | mit würdigem Ernste davon redet, und daß man in seine Neigungen | ||||||
| 09 | entrirt.*) | ||||||
| 10 | Das 13te oder 14te Jahr ist gewöhnlich der Zeitpunkt, in dem sich | ||||||
| 11 | bei dem Jünglinge die Neigung zu dem Geschlechte entwickelt (es müßten | ||||||
| 12 | denn Kinder verführt und durch böse Beispiele verdorben sein, wenn es | ||||||
| 13 | früher geschähe). Ihre Urtheilskraft ist dann auch schon ausgebildet, und | ||||||
| 14 | die Natur hat sie um die Zeit bereits präparirt, daß man mit ihnen davon | ||||||
| 15 | reden kann. | ||||||
| 16 | Nichts schwächt den Geist wie den Leib des Menschen mehr, als die | ||||||
| 17 | Art der Wollust, die auf sich selbst gerichtet ist, und sie streitet ganz wider | ||||||
| 18 | die Natur des Menschen. Aber auch diese muß man dem Jünglinge nicht | ||||||
| 19 | verhehlen. Man muß sie ihm in ihrer ganzen Abscheulichkeit darstellen, | ||||||
| 20 | ihm sagen, daß er sich dadurch für die Fortpflanzung des Geschlechtes | ||||||
| 21 | unnütz mache, daß die Leibeskräfte dadurch am allermeisten zu Grunde | ||||||
| 22 | gerichtet werden, daß er sich dadurch ein frühes Alter zuziehe, und sein | ||||||
| 23 | Geist sehr dabei leide**), usw. | ||||||
| 24 | Man kann den Anreizen dazu entgehen durch anhaltende Beschäftigung, | ||||||
| 25 | dadurch daß man dem Bette und Schlafe nicht mehr Zeit widmet, als | ||||||
| 26 | nöthig ist. Die Gedanken daran muß man sich durch jene Beschäftigungen | ||||||
| 27 | aus dem Sinne schlagen, denn wenn der Gegenstand auch nur blos in der | ||||||
| 28 | Imagination bleibt, so nagt er doch an der Lebenskraft. Richtet man | ||||||
| 29 | seine Neigung auf das andere Geschlecht, so findet man doch noch immer | ||||||
| 30 | einigen Widerstand, richtet man sie aber auf sich selbst, so kann man sie | ||||||
| 31 | zu jeder Zeit befriedigen. Der physische Effect ist überaus schädlich, aber | ||||||
| 32 | die Folgen in Absicht der Moralität sind noch weit übler. Man überschreitet | ||||||
| 33 | hier die Grenzen der Natur, und die Neigung wüthet ohne Aufhalt | ||||||
| *) Siehe hierüber besonders: Salzmann, über die heimlichen Sünden der Jugend. A. d. H. | |||||||
| **) Vergl. außer dem eben angeführten Buche Tissot, Campe's Revision des gesammten Schul= und Erziehungswesens usw. A. d. H. | |||||||
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