Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 484

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 werden bei Kindern, sondern erst in den Jünglingsjahren. Sie      
  02 kann nämlich nur dann erst Statt finden, wenn der Ehrbegriff bereits      
  03 Wurzel gefaßt hat.      
           
  04 Ein zweiter Hauptzug in der Gründung des Charakters der Kinder      
  05 ist Wahrhaftigkeit. Sie ist der Grundzug und das Wesentliche eines      
  06 Charakters. Ein Mensch, der lügt, hat gar keinen Charakter, und hat er      
  07 etwas Gutes an sich, so rührt dies blos von seinem Temperamente her.      
  08 Manche Kinder haben einen Hang zum Lügen, der gar oft von einer lebhaften      
  09 Einbildungskraft muß hergeleitet werden. Des Vaters Sache ist      
  10 es, darauf zu sehen, daß sich die Kinder dessen entwöhnen; denn die Mütter      
  11 achten es gemeiniglich für eine Sache von keiner oder doch nur geringer      
  12 Bedeutung; ja sie finden darin oft einen ihnen selbst schmeichelhaften Beweis      
  13 der vorzüglichen Anlagen und Fähigkeiten ihrer Kinder. Hier nun      
  14 ist der Ort, von der Scham Gebrauch zu machen, denn hier begreift es      
  15 das Kind wohl. Die Schamröthe verräth uns, wenn wir lügen, aber ist      
  16 nicht immer ein Beweis davon. Oft erröthet man über die Unverschämtheit      
  17 eines Andern, uns einer Schuld zu zeihen. Unter keiner Bedingung muß      
  18 man durch Strafen die Wahrheit von Kindern zu erzwingen suchen, ihre      
  19 Lüge müßte denn gleich Nachtheil nach sich ziehen, und dann werden sie      
  20 des Nachtheils wegen gestraft. Entziehung der Achtung ist die einzig      
  21 zweckmäßige Strafe der Lüge.      
           
  22 Auch lassen sich die Strafen in negative und positive Strafen      
  23 abtheilen, deren erstere bei Faulheit oder Unsittlichkeit eintreten würden,      
  24 z. E. bei der Lüge, bei Unwillfährigkeit und Unvertragsamkeit. Die positiven      
  25 Strafen aber gelten für boshaften Unwillen. Vor allen Dingen aber      
  26 muß man sich hüten, ja den Kindern nichts nachzutragen..      
           
  27 Ein dritter Zug im Charakter eines Kindes muß Geselligkeit sein.      
  28 Es muß auch mit andern Freundschaft halten und nicht immer für sich      
  29 allein sein. Manche Lehrer sind zwar in Schulen dawider; das ist aber      
  30 sehr unrecht. Kinder sollen sich vorbereiten zu dem süßesten Genusse des      
           
     

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