Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 482 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | Gehorsam ist sehr wichtig; jener aber auch äußerst nothwendig, indem er | ||||||
| 02 | das Kind zur Erfüllung solcher Gesetze vorbereitet, die es künftighin als | ||||||
| 03 | Bürger erfüllen muß, wenn sie ihm auch gleich nicht gefallen. | ||||||
| 04 | Kinder müssen daher unter einem gewissen Gesetze der Nothwendigkeit | ||||||
| 05 | stehen. Dieses Gesetz aber muß ein allgemeines sein, worauf man besonders | ||||||
| 06 | in Schulen zu sehen hat. Der Lehrer muß unter mehreren Kindern | ||||||
| 07 | keine Prädilection, keine Liebe des Vorzuges gegen ein Kind besonders | ||||||
| 08 | zeigen. Denn das Gesetz hört sonst auf, allgemein zu sein. Sobald das | ||||||
| 09 | Kind sieht, daß sich nicht alle übrige auch demselben Gesetze unterwerfen | ||||||
| 10 | müssen, so wird es aufsetzig. | ||||||
| 11 | Man redet immer so viel davon, Alles müsse den Kindern in der | ||||||
| 12 | Art vorgestellt werden, daß sie es aus Neigung thäten. In manchen | ||||||
| 13 | Fällen ist das freilich gut, aber Vieles muß man ihnen auch als Pflicht | ||||||
| 14 | vorschreiben. Dieses hat nachher großen Nutzen für das ganze Leben. | ||||||
| 15 | Denn bei öffentlichen Abgaben, bei Arbeiten des Amtes und in vielen | ||||||
| 16 | andern Fällen kann uns nur die Pflicht, nicht die Neigung leiten. Gesetzt | ||||||
| 17 | das Kind sähe die Pflicht auch nicht ein, so ist es doch so besser, und da | ||||||
| 18 | etwas seine Pflicht als Kind sei, sieht es doch wohl ein, schwerer aber, da | ||||||
| 19 | etwas seine Pflicht als Mensch sei. Könnte es dieses auch einsehen, welches | ||||||
| 20 | aber erst bei zunehmenden Jahren möglich ist: so wäre der Gehorsam noch | ||||||
| 21 | vollkommner. | ||||||
| 22 | Alle Übertretung eines Gebotes bei einem Kinde ist eine Ermangelung | ||||||
| 23 | des Gehorsams, und diese zieht Strafe nach sich. Auch bei einer unachtsamen | ||||||
| 24 | Übertretung des Gebotes ist Strafe nicht unnöthig. Diese Strafe | ||||||
| 25 | ist entweder physisch oder moralisch. | ||||||
| 26 | Moralisch straft man, wenn man der Neigung, geehrt und geliebt | ||||||
| 27 | zu werden, die Hülfsmittel der Moralität sind, Abbruch thut, z. E. wenn | ||||||
| 28 | man das Kind beschämt, ihm frostig und kalt begegnet. Diese Neigungen | ||||||
| 29 | müssen so viel als möglich erhalten werden. Daher ist diese Art zu strafen | ||||||
| 30 | die beste, weil sie der Moralität zu Hülfe kommt; z. E. wenn ein Kind lügt, | ||||||
| 31 | so ist ein Blick der Verachtung Strafe genug und die zweckmäßigste Strafe. | ||||||
| 32 | Physische Strafen bestehen entweder in Verweigerungen des Begehrten, | ||||||
| 33 | oder in Zufügung der Strafen. Die erstere Art derselben ist mit | ||||||
| 34 | der moralischen verwandt und ist negativ. Die andern Strafen müssen | ||||||
| 35 | mit Behutsamkeit ausgeübt werden, damit nicht eine indoles servilis entspringe. | ||||||
| 36 | Daß man Kindern Belohnungen ertheilt, taugt nicht, sie werden | ||||||
| 37 | dadurch eigennützig, und es entspringt daraus eine indoles mercennaria. | ||||||
| [ Seite 481 ] [ Seite 483 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||