Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 453 |
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01 | durch diese Mitgehülfen findet sich aber der sehr schwierige Umstand, | ||||||
02 | daß die Autorität zwischen den Eltern und diesen Hofmeistern | ||||||
03 | getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister | ||||||
04 | richten und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bei | ||||||
05 | einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Autorität | ||||||
06 | an die Hofmeister abtreten. | ||||||
07 | In wie fern dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, | ||||||
08 | oder diese vor jener Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch nicht | ||||||
09 | blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters | ||||||
10 | eines Bürgers die öffentliche Erziehung vortheilhafter als die häusliche zu | ||||||
11 | sein. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern | ||||||
12 | pflanzt dieselben auch fort. | ||||||
13 | Wie lange aber soll die Erziehung denn dauern? Bis zu der Zeit, | ||||||
14 | da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da | ||||||
15 | der Instinct zum Geschlechte sich bei ihm entwickelt; da er selbst Vater | ||||||
16 | werden kann und selbst erziehen soll: ungefähr bis zu dem sechuehnten | ||||||
17 | Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Cultur | ||||||
18 | gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche | ||||||
19 | Erziehung mehr. | ||||||
20 | Die Unterwürfigkeit des Zöglinges ist entweder positiv, da er thun | ||||||
21 | muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, | ||||||
22 | und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder | ||||||
23 | negativ, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere | ||||||
24 | ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bei der ersten tritt Strafe | ||||||
25 | ein, bei der andern dies, daß man nicht thut, was er will; er ist hier, | ||||||
26 | obwohl er bereits denken kann, dennoch in seinem Vergnügen abhängig. | ||||||
28 | Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung | ||||||
29 | unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freiheit | ||||||
30 | zu bedienen, vereinigen könne. Denn Zwang ist nöthig! Wie cultivire | ||||||
31 | ich die Freiheit bei dem Zwange? Ich soll meinen Zögling gewöhnen, | ||||||
32 | einen Zwang seiner Freiheit zu dulden, und soll ihn selbst zugleich anführen, | ||||||
33 | seine Freiheit gut zu gebrauchen. Ohne dies ist alles bloßer | ||||||
34 | Mechanism, und der der Erziehung Entlassene weiß sich seiner Freiheit | ||||||
35 | nicht zu bedienen. Er muß früh den unvermeidlichen Widerstand der | ||||||
36 | Gesellschaft fühlen, um die Schwierigkeit, sich selbst zu erhalten, zu entbehren | ||||||
37 | und zu erwerben, um unabhängig zu sein, kennen zu lernen. | ||||||
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