Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 433 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | Völkerschaft aus; überhaupt aber werden die Nationen hier allmählich | ||||||
| 02 | schwächer. Sie haben kein Criminalgericht. Wenn jemand einen | ||||||
| 03 | andern getödtet hat: so weiß man kaum, wer die That strafen soll. Gemeiniglich | ||||||
| 04 | thut es seine eigne Familie. Die größte Schwierigkeit ist, der | ||||||
| 05 | Rache der Familie des Erschlagenen zu entgehen. Eine Familie muß | ||||||
| 06 | durch einen Gefangenen wegen des Verlornen schadlos gehalten werden. | ||||||
| 07 | Diebe werden zur Wiedervergeltung ganz ausgeplündert, nur Verzagte und | ||||||
| 08 | Hexen werden getödtet und verbrannt. Ihre Religionsbegriffe sind sehr verwirrt. | ||||||
| 09 | Die Algonkin nennen den obersten Geist den großen Hasen und seinen | ||||||
| 10 | Feind den großen Tiger. Nichts ist wüthender als ihre Traumsucht. Wenn | ||||||
| 11 | jemand träumt, er schlage jemand todt: so tödtet er ihn gewiß. Traumfest. | ||||||
| 12 | Der Traum eines Privatmannes kann oft Kriege erregen. Im Kriege | ||||||
| 13 | suchen sie sehr ihre Leute zu schonen, fechten gegen einander nur gemeiniglich | ||||||
| 14 | durch Überfall und Hinterhalt, bedienen sich der Kopfschläger und | ||||||
| 15 | wehren sich verzweifelt. Die Gefangenen werden zwar gebunden, aber anfänglich | ||||||
| 16 | gut gehalten und wissen nicht, ob sie sollen geschlachtet oder zur | ||||||
| 17 | Ersetzung des Verlustes der Gebliebenen in die Familien aufgenommen | ||||||
| 18 | werden. Wenn das erste beschlossen ist, so singt das Schlachtopfer seinen | ||||||
| 19 | Todtengesang, und man zerfleischt ihn durch lange Martern, die oft einige | ||||||
| 20 | Tage dauern, wobei dieser ganz unempfindlich thut und seinen Henkern | ||||||
| 21 | Hohn spricht; zuletzt kocht und frißt man ihn. Dies geschieht mehr aus | ||||||
| 22 | Begierde, den Geist des Erschlagenen durch Rachopfer zu besänftigen, als | ||||||
| 23 | aus Appetit. Die im Gefechte Erschlagenen werden niemals gefressen; | ||||||
| 24 | Kinder und selbst Weiber bereiten sich schon zu solcher Standhaftigkeit | ||||||
| 25 | zu. Die Freundschaft dieser Wilden wird außerordentlich weit getrieben. | ||||||
| 26 | Der Friedensstab oder das Kalumet ist unter allen diesen Völkern gebräuchlich | ||||||
| 27 | und ist eigentlich eine Tabakspfeife, welche oft mit einigen Zierathen | ||||||
| 28 | ausstaffirt wird, woraus die Häupter von beiden Parteien rauchen. | ||||||
| 29 | Man sieht die große Neigung zur Unabhängigkeit unter diesen Völkern | ||||||
| 30 | an der Erziehung der Kinder, welche bloß durch Worte und kleine Beschimpfung, | ||||||
| 31 | als ihnen Wasser ins Gesicht zu spritzen, von den Eltern bestraft | ||||||
| 32 | werden. Dies scheint die Ursache zu sein, weswegen sich kein Indianer | ||||||
| 33 | einfallen läßt, die Lebensart der Europäer anzunehmen, obzwar diese | ||||||
| 34 | oft jene wählen. Weiterhin, westwärts in diesem Welttheile, sind die Nationen | ||||||
| 35 | wenig bekannt. Einige drücken den Kindern den Kopf zwischen | ||||||
| 36 | zwei Klumpen Leimen in der Kindheit breit und heißen Plattköpfe. Unter | ||||||
| 37 | den Algonkin sind Kugelköpfe wegen der Figur, die sie den Köpfen durch | ||||||
| [ Seite 432 ] [ Seite 434 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||