Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 320

     
           
 

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  01 2. Urtheil des Gehöres. Wenn man die Musik der Europäer      
  02 mit der der Türken, Chineser, Afrikaner vergleicht, so ist die Verschiedenheit      
  03 ungemein auffallend. Die Chineser, ob sie sich gleich mit der Musik      
  04 viele Mühe geben, finden doch an der unsrigen kein Wohlgefallen.      
           
  05 3. Urtheil des Geschmackes. In China, in ganz Guinea ist      
  06 ein Hund eins der schmackhaftesten Gerichte. Man bringt daselbst alles,      
  07 bis auf die Ratzen und Schlangen, zu Kauf. In Sumatra, Siam, Arakan      
  08 und den mehresten indischen Orten macht man nicht viel aus Fleisch; aber      
  09 ein Gericht Fische, die indessen vorher müssen stinkend geworden sein, ist      
  10 die Hauptspeise. Der Grönländer liebt den Thrangeschmack über alles.      
  11 Die Betelblätter mit der Arekanuß und ein wenig Kalk zu kauen, ist die      
  12 größte Ergötzlichkeit aller Ostindier, die zwischen den Wendekreisen wohnen.      
  13 Die Hottentotten wissen von keiner Verzärtelung des Geschmackes.      
  14 Im Nothfalle können getretene Schuhsohlen ein ziemlich leidliches Gericht      
  15 für sie abgeben.      
           
  16 4. Urtheil des Geruches. Der Teufelsdreck oder die Asa foetida      
  17 ist die Ergötzlichkeit aller südlichen Perser, und der Inder, die ihnen nahe      
  18 wohnen. Alle Speisen, das Brod sogar, sind damit parfümirt, und die      
  19 Wasser selbst riechen davon. Den Hottentotten ist der Kuhmist ein Lieblingsgeruch,      
  20 ingleichen manchen Indiern. Ihre Schaffelle müssen durchaus      
  21 darnach riechen, wenn sie nach der Galanterie sein sollen. Ein      
  22 Missionar wunderte sich darüber, daß die Chineser, sobald sie eine Ratze      
  23 sehen, sie zwischen den Fingern zerreiben und mit Appetit daran riechen.      
  24 Allein ich Frage dagegen: Warum stinkt uns jetzt der Muskus an, der vor      
  25 funfzig Jahren jedermann so schön roch? Wieviel vermag nicht das Urtheil      
  26 anderer Menschen in Ansehung unseres Geschmackes, ihn zu verändern,      
  27 wie es die Zeiten mit sich bringen!      
           
           
     

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