Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 317 |
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| 01 | Montesquieu urtheilt ganz recht, daß eben die Zärtlichkeit, die | ||||||
| 02 | dem Indianer oder dem Neger den Tod so furchtbar macht, ihn oft viele | ||||||
| 03 | Dinge, die der Europäer überstehen kann, ärger fürchten läßt als den | ||||||
| 04 | Tod. Der Negersklave von Guinea ersäuft sich, wenn er zur Sklaverei soll | ||||||
| 05 | gezwungen werden. Die indischen Weiber verbrennen sich. Der Karaibe | ||||||
| 06 | nimmt sich bei einer geringen Gelegenheit das Leben. Der Peruaner | ||||||
| 07 | zittert vor dem Feinde, und wenn er zum Tode geführt wird, so ist er | ||||||
| 08 | gleichgültig, als wenn das nichts zu bedeuten hätte. Die aufgeweckte | ||||||
| 09 | Einbildungskraft macht aber auch, daß er oft etwas wagt; aber die Hitze | ||||||
| 10 | ist bald wieder vorüber, und die Zaghaftigkeit nimmt abermals ihren alten | ||||||
| 11 | Platz ein. Die Ostjaken, Samojeden, Semljanen, Lappen, Grönländer | ||||||
| 12 | und Küstenbewohner der Davisstraße sind ihnen in der Zaghaftigkeit, | ||||||
| 13 | Faulheit, dem Aberglauben, der Lust an starken Getränken sehr ähnlich, | ||||||
| 14 | die Eifersucht ausgenommen, weil ihr Klima nicht so starke Anreizungen | ||||||
| 15 | zur Wollust hat. | ||||||
| 16 | Eine gar zu schwache, so wie auch eine zu starke Perspiration macht | ||||||
| 17 | ein dickes, klebrichtes Geblüt, und die größte Kälte sowohl als die größte | ||||||
| 18 | Hitze machen, daß durch Austrocknung der Säfte die Gefäße und Nerven | ||||||
| 19 | der animalischen Bewegungen steif und unbiegsam werden. | ||||||
| 20 | In Gebirgen sind die Menschen dauerhaft, munter, kühn, Liebhaber | ||||||
| 21 | der Freiheit und ihres Vaterlandes. | ||||||
| 22 | Wenn man nach den Ursachen der mancherlei einem Volke angearteten | ||||||
| 23 | Bildungen und Naturelle frägt: so darf man nur auf die Ausartungen | ||||||
| 24 | der Thiere sowohl in ihrer Gestalt als ihrer Benehmungsart Acht | ||||||
| 25 | haben, sobald sie in ein anderes Klima gebracht werden, wo andere Luft, | ||||||
| 26 | Speise usw. ihre Nachkommenschaft ihnen unähnlich machen. Ein Eichhörnchen, | ||||||
| 27 | das hier braun war, wird in Sibirien grau. Ein europäischer | ||||||
| 28 | Hund wird in Guinea ungestaltet und kahl sammt seiner Nachkommenschaft. | ||||||
| 29 | Die nordischen Völker, die nach Spanien übergegangen sind, | ||||||
| 30 | haben nicht allein eine Nachkommenschaft von Körpern, die lange nicht | ||||||
| 31 | so groß und stark als sie waren, hinterlassen, sondern sie sind auch in ein | ||||||
| 32 | Temperament, das dem eines Norwegers oder Dänen sehr unähnlich ist, | ||||||
| 33 | ausgeartet. Der Einwohner des gemäßigten Erdstriches, vornehmlich | ||||||
| 34 | des mittleren Theiles desselben ist schöner an Körper, arbeitsamer, scherzhafter, | ||||||
| 35 | gemäßigter in seinen Leidenschaften, verständiger als irgend eine | ||||||
| 36 | andere Gattung der Menschen in der Welt. Daher haben diese Völker | ||||||
| 37 | zu allen Zeiten die anderen belehrt und durch die Waffen bezwungen. Die | ||||||
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