Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 265 |
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01 | Man hat diese und die beiden andern vorhin genannten Städte bei einem | ||||||
02 | Aufgraben wieder entdeckt und in ihnen vieles Hausgeräthe gefunden, | ||||||
03 | unter dem sich auch einige Gemälde befinden, deren Farben mehrentheils | ||||||
04 | noch ganz wohl erhalten sind, nur daß man in ihnen kein Licht und keinen | ||||||
05 | Schatten ausfindig zu machen im Stande ist. Vieler dieser Gemälde sind | ||||||
06 | in alfresco -Manier oder gegypstem Kalk gemalt. Bücher findet man hier | ||||||
07 | sehr selten, und da selbige auf Schilf geschrieben und in Rollen zusammengewickelt, | ||||||
08 | auch ganz mit Asche bedeckt sind, so muß die größte Behutsamkeit | ||||||
09 | angewendet werden, selbige auseinander zu wickeln, daher ein Mönch | ||||||
10 | oft drei Wochen zubringen muß, um nur einige Zolle derselben auseinander | ||||||
11 | zu rollen. Eine Arbeit, die sich überaus gut für die Mönche schickt. Merkwürdig | ||||||
12 | ist es auch, daß die Namen, welche die Alten den Büchern gaben, | ||||||
13 | hauptsächlich vom Schilf, Bast und Baumrinden hergenommen sind. | ||||||
14 | Da man auch jetzt das Amphitheater gefunden und keinen Menschen | ||||||
15 | in demselben erblickt, wie man denn deren überhaupt keinen in Herculanum | ||||||
16 | angetroffen, daher sie alle noch zu rechter Zeit entfliehen und selbst | ||||||
17 | alle Alten und Kinder haben mitnehmen können: so muthmaßt man, da | ||||||
18 | sie damals gerade nicht im Amphitheater gewesen seien, wie man dieses | ||||||
19 | auch in alten Schriften angegeben findet. | ||||||
20 | Nachdem man selbst bis unter die Stadt weiter nachgegraben hat, | ||||||
21 | nämlich nicht durch, sondern zur Seite der Lava, so hat man eine noch | ||||||
22 | weit ältere Lavaschicht hervorgefunden. Ein deutlicher Beweis, wie es | ||||||
23 | scheint, daß der Vesuv schon ehedeß Feuer muß ausgeworfen haben. | ||||||
24 | Weil der Vesuv aber mehrentheils alsdann auszuwerfen anfängt, | ||||||
25 | wenn der Ätna damit aufhört: so müssen beide Berge mit einander wahrscheinlich | ||||||
26 | in Verbindung stehen. | ||||||
27 | Der Berg Hekla auf der Insel Island, die mehr nach Amerika als | ||||||
28 | zu Europa gehört, und deren eine Hälfte unter dem gemäßigten, die andere | ||||||
29 | aber unter dem kalten Erdgürtel liegt, wirft eine große Menge von Asche | ||||||
30 | und Wasser aus, das aus der erstaunenden Menge des auf ihm liegenden | ||||||
31 | Schnees entsteht. Man will aber auf ihm keine Lava wahrgenommen | ||||||
32 | haben. | ||||||
33 | Der Berg Cotopaxi in Amerika, der zu den Cordilleras=Gebirgen | ||||||
34 | gehört, hält in Rücksicht seiner Auswürfe bestimmte Zwischenzeiten. Man | ||||||
35 | kann ihn also und alle dergleichen Berge als Kalköfen betrachten, die mit | ||||||
36 | einer einzigen Öffnung versehen sind. Indem das Feuer die Luft durch | ||||||
37 | seine Elasticität hinaustreibt, so kann es ohne diese nicht weiter fortbrennen; | ||||||
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