Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 261

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 erklären? Bei Zwickau brennt ein Steinkohlenlager schon seit hundert      
  02 Jahren und kann noch viele Jahrhunderte brennen. Wie langsam      
  03 geht demnach ein solcher Brand vor sich und wie schnell dagegen das Erdbeben.      
  04 Die Ursache dieser letztern wird also nicht mehr an der Oberfläche      
  05 der Erde, sondern tiefer in derselben zu suchen sein.      
           
  06 Unsere Erde ist ehedeß flüssig gewesen; man findet fast keinen Körper,      
  07 der nicht Zeichen seiner vormaligen Flüssigkeit an sich tragen sollte. Alle      
  08 Steine, unsere Knochen selbst sind anfänglich flüssig gewesen; die Bäume      
  09 sind aus einem flüssigen Safte entstanden. Ein jeder flüssiger Körper      
  10 wird aber zuerst auf der Oberfläche hart. Demnach wurde auch die Kruste      
  11 der Erde zuerst fest und so ging es immer weiter bis zu ihrem Mittelpunkte      
  12 hin.      
           
  13 Aber ist die Erde auch wirklich schon durchweg fest? oder ist sie in      
  14 ihrem Inwendigen noch flüssig? Es ist wenigstens nicht ganz unwahrscheinlich,      
  15 daß sich in der Mitte der Erde noch eine weiche Masse befinde.      
  16 Ja, es ließe sich annehmen, daß, wenn die Erde erst ganz fest wäre, sie      
  17 auch aufhören würde, bewohnbar zu sein. Denn aus ihrem Innern steigen      
  18 Dünste auf, die der Erde ihre Fruchtbarkeit geben. Wäre die Erde      
  19 fest, so könnte auf ihr keine andere Veränderung eintreten, als diejenige,      
  20 welche etwa Sonne und Mond bewirken möchten. Da nun aber unsere      
  21 Witterung ziemlich regellos, also nicht von Sonne und Mond abhängig      
  22 zu sein scheint: so muß unter unsern Füßen die Ursache davon liegen. An      
  23 dem Erdbeben selbst bemerken wir:      
           
  24 Erstlich eine schaukelnde Bewegung. Diese ist in Häusern von mehrern      
  25 Stockwerken, auf hohen Thürmen und Bergen besonders merklich,      
  26 indem diese Gegenstände bei dem Schaukeln einen großen Bogen      
  27 beschreiben. Wenn das Schaukeln lange anhält: so werden sie in      
  28 ihren innern Theilen erschüttert und fallen um. Es wird die Erde      
  29 unter diesen Umständen von einer Materie unter ihr gleichsam aufgebläht,      
  30 und weil sie immer nach einer Seite fortgeht, so sagt man,      
  31 daß die Erdbeben einen besondern Strich halten, welches man aus      
  32 der Bewegung der Kronleuchter und dem Umfallen der Stühle, nach      
  33 welcher Seite es nämlich geschieht, so wie nach andern, in das Größere      
  34 gehenden Bemerkungen beurtheilt. Das Meer erhält dabei öfters      
  35 gleichfalls eine Schaukelung, die mit der Ebbe und Fluth gar keine      
  36 Verwandtschaft hat, und zwar, weil an einer Seite der Boden niedriger      
  37 wird, fällt daselbst auch das Wasser, und weil es an der andern      
           
           
     

[ Seite 260 ] [ Seite 262 ] [ Inhaltsverzeichnis ]