Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 252

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
§. 45.
     
           
  02 In dem heißen Erdstriche schmilzt der Schnee in einer Höhe von      
  03 2200 Klaftern, weiterhin in einer Höhe von 12000 Fuß und endlich unter      
  04 dem Pole vielleicht niemals von der Oberfläche der Erde weg. Es dürfte      
  05 also der Schnee aus den Wolken, die eben so weit von der Erde abstehen,      
  06 herunterfallen. Daher Jemand, der sich auf solchen Bergen befände, die      
  07 Beschaffenheit des Schnees experimentiren könnte. Auch hat es manche      
  08 Wahrscheinlichkeit, daß der Regen im Sommer mehrentheils aus Schnee,      
  09 wiewohl auch bisweilen aus Regenwolken herabkommt, weil in den obern      
  10 Gegenden beständig einerlei Witterung herrscht, daher auch der Hagel      
  11 Schnee zu sein scheint, dessen obere Rinde abgeschmolzen ist.      
           
  12 Weil der Schnee auf hohen Bergen niemals schmilzt, so haben einige      
  13 dafür gehalten, daß er so alt sei als die Welt. Allein man hat gefunden,      
  14 daß derselbe in vielen und besondern Schichten hintereinander liegt, davon      
  15 die erste am lockersten ist, die nachfolgenden aber immer fester werden.      
  16 Ja man ist im Stande, des Schnees jährlichen Zuwachs mit Sicherheit      
  17 zu erkennen, wie man das Alter des Fisches aus den Zusätzen seiner      
  18 Schuppen, die man durch das Mikroskop gewahr wird, oder das des Hirsches      
  19 aus seinen Enden beurtheilen kann. Er wird aber durch die Erdwärme      
  20 aufgelöst und fließt herunter. Es geschieht selbst, daß der Schnee,      
  21 welcher unterhalb auf der Spitze des Berges liegt, ausdünstet und diese      
  22 Dünste mitten durch die übrigen Schneepartikelchen fortfliegen. Daraus      
  23 ersieht man, daß der Schnee auch von den hohen Gebirgen nach und nach      
  24 verschwindet und ein anderer an seine Stelle kommt.      
           
  25 Öfters geschieht es, daß außer andern Veranlassungen der Schnee      
  26 auch durch den Staub, den die Luft allezeit mit sich führt, und der sich      
  27 auf ihm ansetzt, auseinandergebracht und heruntergestürzt wird, worauf      
  28 denn in weniger als einer Minute ganze Dörfer vom Schnee begraben      
  29 dastehen. Mehrere auf solche Weise verschüttete Personen sind oft nach      
  30 gar langer Zeit wieder aufgefunden worden, und ihrem Ansehn nach hätte      
  31 man urtheilen sollen, sie wären einbalsamirt. Da dieser trockne Schnee      
  32 mehrentheils nur von einer dünnen Kruste zusammengehalten wird, so      
  33 kann dieselbe durch einen geringen Zufall, z. E. wenn sich ein Vogel auf      
  34 dieselbe setzt, zerbrochen werden, worauf denn die ganze Schneemasse der      
  35 Abschüssigkeit des Berges wegen herunterrollt. Dergleichen aus der Höhe      
  36 von den Gebirgen herabstürzende Schneemassen heißen Lawinen. Aber      
  37 man unterscheidet auch hier noch Staublawinen, die nur den Boden      
           
     

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