Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 162

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 haben, mit ihm auch die Sache zu haben glauben: so denkt nun niemand      
  02 daran, wirklich eine solche Naturgeschichte zu liefern.      
           
  03 Die Geschichte der Natur enthält die Mannigfaltigkeit der Geographie,      
  04 wie es nämlich in verschiednen Zeiten damit gewesen ist, nicht aber,      
  05 wie es jetzt zu gleicher Zeit ist, denn dies wäre ja eben Naturbeschreibung.      
  06 Trägt man dagegen die Begebenheiten der gesammten Natur so vor, wie      
  07 sie durch alle Zeiten beschaffen gewesen, so liefert man, und nur erst dann,      
  08 eine richtig sogenannte Naturgeschichte. Erwägt man z. B., wie die verschiedenen      
  09 Racen der Hunde aus einem Stamme entsprungen sind, und      
  10 welche Veränderungen sich mit ihnen vermittelst der Verschiedenheit des      
  11 Landes, des Klima, der Fortpflanzung etc. durch alle Zeiten zugetragen      
  12 haben: so wäre das eine Naturgeschichte der Hunde, und eine solche könnte      
  13 man über jeden einzelnen Theil der Natur liefern, z. B. über die Pflanzen      
  14 u. dergl. m.*) Allein sie hat das Beschwerliche, daß man sie mehr durch      
  15 Experimente errathen müßte, als daß man eine genaue Nachricht von      
  16 allem zu geben im Stande sein sollte. Denn die Naturgeschichte ist um      
  17 nichts jünger als die Welt selbst, wir können aber für die Sicherheit unserer      
  18 Nachrichten nicht einmal seit Entstehung der Schreibekunst bürgen.      
  19 Und welch ein ungeheurer, wahrscheinlich ungleich größerer Zeitraum,      
  20 als der ist, den man uns gewöhnlich in der Geschichte darüber nachweist,      
  21 liegt jenseits derselben wohl!      
           
  22 Wahre Philosophie aber ist es, die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit      
  23 einer Sache durch alle Zeiten zu verfolgen. Wenn man die wilden      
  24 Pferde in den Steppen zahm machen könnte: so wären das sehr dauerhafte      
  25 Pferde. Man merkt an, daß Esel und Pferde aus einem Stamme      
  26 herrühren und daß jenes wilde Pferd das Stammpferd ist, denn es hat      
  27 lange Ohren. So ist ferner auch das Schaf der Ziege ähnlich, und nur      
  28 die Art der Cultur macht hier eine Verschiedenheit. So ist es auch      
  29 mit dem Weine u. dergl.      
           
  30 Ginge man demnach den Zustand der Natur in der Art durch, da      
  31 man bemerkte, welche Veränderungen sie durch alle Zeiten erlitten habe:      
  32 so würde dieses Verfahren eine eigentliche Naturgeschichte geben.      
           
  33 Der Name Geographie bezeichnet also eine Naturbeschreibung, und      
  34 zwar der ganzen Erde. Geographie und Geschichte füllen den gesammten      
           
    *)S. z. B. Ch. F. Ludwigs schönen Grundriß der Naturgeschichte der Menschenspecies. Mit Kupf. Leipz. 1796. gr. 8.      
           
     

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