Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 158 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Verstande, so wie den Verhältnissen, in denen man steht, gemäßen, nützlichen | ||||||
02 | Gebrauch von ihnen zu machen, oder unsern Erkenntnissen das | ||||||
03 | Praktische zu geben habe. Und dieses ist die Kenntniß der Welt. | ||||||
04 | Die Welt ist das Substrat und der Schauplatz, auf dem das Spiel | ||||||
05 | unserer Geschicklichkeit vor sich geht. Sie ist der Boden, auf dem unsere | ||||||
06 | Erkenntnisse erworben und angewendet werden. Damit aber das in Ausübung | ||||||
07 | könne gebracht werden, wovon der Verstand sagt, daß es geschehen | ||||||
08 | soll: so muß man die Beschaffenheit des Subjectes kennen, ohne | ||||||
09 | welches das erstere unmöglich wird. | ||||||
10 | Ferner aber müssen wir auch die Gegenstände unserer Erfahrung im | ||||||
11 | Ganzen kennen lernen, so daß unsere Erkenntnisse kein Aggregat, sondern | ||||||
12 | ein System ausmachen; denn im System ist das Ganze eher als | ||||||
13 | die Theile, im Aggregat hingegen sind die Theile eher da. | ||||||
14 | Diese Bewandtniß hat es mit allen Wissenschaften, die eine Verknüpfung | ||||||
15 | in uns hervorbringen, z. B. mit der Encyklopädie, wo das Ganze | ||||||
16 | erst im Zusammenhange erscheint. Die Idee ist architektonisch; sie | ||||||
17 | schafft die Wissenschaften. Wer z. E. ein Haus bauen will, der macht sich | ||||||
18 | zuerst eine Idee für das Ganze, aus der hernach alle Theile abgeleitet | ||||||
19 | werden. So ist also auch unsere gegenwärtige Vorbereitung eine Idee | ||||||
20 | von der Kenntniß der Welt. Wir machen uns hier nämlich gleichfalls | ||||||
21 | einen architektonischen Begriff, welches ein Begriff ist, bei dem das | ||||||
22 | Mannigfaltige aus dem Ganzen abgeleitet wird. | ||||||
23 | Das Ganze ist hier die Welt, der Schauplatz, auf dem wir alle Erfahrungen | ||||||
24 | anstellen werden. Umgang mit Menschen und Reisen erweitern | ||||||
25 | den Umfang aller unserer Kenntnisse. Jener Umgang lehrt uns den | ||||||
26 | Menschen kennen, erfordert aber, wenn dieser Endzweck soll erreicht werden, | ||||||
27 | viele Zeit. Sind wir aber schon durch Unterweisung vorbereitet: so | ||||||
28 | haben wir bereits ein Ganzes, einen Inbegriff von Kenntnissen, die uns | ||||||
29 | den Menschen kennen lehren. Nun sind wir im Stande, jeder gemachten | ||||||
30 | Erfahrung ihre Classe und ihre Stelle in derselben anzuweisen. Durch | ||||||
31 | Reisen erweitert man seine Kenntniß der äußern Welt, welches aber von | ||||||
32 | wenigem Nutzen ist, wenn man nicht bereits durch Unterricht eine gewisse | ||||||
33 | Vorübung erhalten hat. Wenn man demnach von diesem oder jenem sagt, | ||||||
34 | er kenne die Welt: so versteht man darunter dies, daß er den Menschen | ||||||
35 | und die Natur kenne. | ||||||
[ Seite 157 ] [ Seite 159 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |