Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 072 |
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01 | Vom Wissen kommt Wissenschaft her, worunter der Inbegriff einer | ||||||
02 | Erkenntniß als System zu verstehen ist. Sie wird der gemeinen Erkenntniß | ||||||
03 | entgegengesetzt, d. i. dem Inbegriff einer Erkenntniß als bloßem | ||||||
04 | Aggregate. Das System beruht auf einer Idee des Ganzen, welche | ||||||
05 | den Theilen vorangeht, beim gemeinen Erkenntnisse dagegen oder dem | ||||||
06 | bloßen Aggregate von Erkenntnissen gehen die Theile dem Ganzen vorher. | ||||||
07 | Es giebt historische und Vernunftwissenschaften. | ||||||
08 | In einer Wissenschaft wissen wir oft nur die Erkenntnisse, aber | ||||||
09 | nicht die dadurch vorgestellten Sachen; also kann es eine Wissenschaft | ||||||
10 | von demjenigen geben, wovon unsre Erkenntniß kein Wissen ist. | ||||||
11 | Aus den bisherigen Bemerkungen über die Natur und die Arten des | ||||||
12 | Fürwahrhaltens können wir nun das allgemeine Resultat ziehen: da | ||||||
13 | also alle unsre Überzeugung entweder logisch oder praktisch sei. Nämlich | ||||||
14 | wenn wir wissen, daß wir frei sind von allen subjectiven Gründen | ||||||
15 | und doch das Fürwahrhalten zureichend ist, so sind wir überzeugt und | ||||||
16 | zwar logisch oder aus objectiven Gründen überzeugt (das Object ist | ||||||
17 | gewiß). | ||||||
18 | Das complete Fürwahrhalten aus subjectiven Gründen, die in | ||||||
19 | praktischer Beziehung so viel als objective gelten, ist aber auch Überzeugung, | ||||||
20 | nur nicht logische, sondern praktische (ich bin gewiß). Und | ||||||
21 | diese praktische Überzeugung oder dieser moralische Vernunftglaube | ||||||
22 | ist oft fester als alles Wissen. Beim Wissen hört man noch auf Gegengründe, | ||||||
23 | aber beim Glauben nicht, weil es hierbei nicht auf objective | ||||||
24 | Gründe, sondern auf das moralische Interesse des Subjects ankommt.*) | ||||||
*) Diese praktische Überzeugung ist also der moralische Vernunftglaube, der allein im eigentlichsten Verstande ein Glaube genannt und als solcher dem Wissen und aller theoretischen oder logischen Überzeugung überhaupt entgegengesetzt werden muß, weil er nie zum Wissen sich erheben kann. Der sogenannte historische Glaube dagegen darf, wie schon bemerkt, nicht von dem Wissen unterschieden werden, da er, als eine Art des theoretischen oder logischen Fürwahrhaltens, selbst ein Wissen sein kann. Wir können mit derselben Gewißheit eine empirische Wahrheit auf das Zeugniß Anderer annehmen, als wenn wir durch Facta der eigenen Erfahrung dazu gelangt wären. Bei der erstern Art des empirischen Wissens ist etwas Trügliches, aber auch bei der letztern. Das historische oder mittelbare empirische Wissen beruht auf der Zuverlässigkeit der Zeugnisse. Zu den Erfordernissen eines unverwerflichen Zeugen gehört: Authenticität (Tüchtigkeit) und Integrität. | |||||||
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