Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 070 |
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01 | betrifft: so kann in Ansehung dieser eben so wenig ein bloßes Glauben | ||||||
02 | stattfinden. Man muß völlig gewiß sein: ob etwas recht oder unrecht, | ||||||
03 | pflichtmäßig oder pflichtwidrig, erlaubt oder unerlaubt sei. Auf's Ungewisse | ||||||
04 | kann man in moralischen Dingen nichts wagen, nichts auf die | ||||||
05 | Gefahr des Verstoßes gegen das Gesetz beschließen. So ist es z. B. | ||||||
06 | für den Richter nicht genug, daß er bloß glaube, der eines Verbrechens | ||||||
07 | wegen Angeklagte habe dieses Verbrechen wirklich begangen. Er muß es | ||||||
08 | (juridisch) wissen, oder handelt gewissenlos. | ||||||
09 | III) Nur solche Gegenstände sind Sachen des Glaubens, bei denen | ||||||
10 | das Fürwahrhalten nothwendig frei, d. h. nicht durch objective, von der | ||||||
11 | Natur und dem Interesse des Subjects unabhängige Gründe der Wahrheit | ||||||
12 | bestimmt ist. | ||||||
13 | Das Glauben giebt daher auch wegen der bloß subjectiven Gründe | ||||||
14 | keine Überzeugung, die sich mittheilen läßt und allgemeine Bestimmung | ||||||
15 | gebietet, wie die Überzeugung, die aus dem Wissen kommt. Ich selbst | ||||||
16 | kann nur von der Gültigkeit und Unveränderlichkeit meines praktischen | ||||||
17 | Glaubens gewiß sein und mein Glaube an die Wahrheit eines Satzes oder | ||||||
18 | die Wirklichkeit eines Dinges ist das, was in Beziehung auf mich nur die | ||||||
19 | Stelle eines Erkenntnisses vertritt, ohne selbst ein Erkenntniß zu sein. | ||||||
20 | Moralisch ungläubig ist der, welcher nicht dasjenige annimmt, | ||||||
21 | was zu wissen zwar unmöglich, aber vorauszusetzen, moralisch nothwendig | ||||||
22 | ist. Dieser Art des Unglaubens liegt immer Mangel an moralischem | ||||||
23 | Interesse zum Grunde. Je größer die moralische Gesinnung eines | ||||||
24 | Menschen ist: desto fester und lebendiger wird auch sein Glaube sein an | ||||||
25 | alles dasjenige, was er aus dem moralischen Interesse in praktisch nothwendiger | ||||||
26 | Absicht anzunehmen und vorauszusetzen sich genöthigt fühlt. | ||||||
27 | 3) Wissen. Das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnißgrunde, der | ||||||
28 | sowohl objectiv als subjectiv zureichend ist, oder die Gewißheit ist entweder | ||||||
29 | empirisch oder rational, je nachdem sie entweder auf Erfahrung | ||||||
30 | - die eigene sowohl als die fremde mitgetheilte - oder auf Vernunft | ||||||
31 | sich gründet. Diese Unterscheidung bezieht sich also auf die beiden | ||||||
32 | Quellen, woraus unser gesammtes Erkenntniß geschöpft wird: die Erfahrung | ||||||
33 | und die Vernunft. | ||||||
34 | Die rationale Gewißheit ist hinwiederum entweder mathematische | ||||||
35 | oder philosophische Gewißheit. Jene ist intuitiv, diese discursiv. | ||||||
36 | Die mathematische Gewißheit heißt auch Evidenz, weil ein intuitives | ||||||
37 | Erkenntniß klärer ist als ein discursives. Obgleich also beides, das | ||||||
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