Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 054 |
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01 | Dieser Einfluß nämlich macht, daß wir im Urtheilen bloß subjective | ||||||
02 | Gründe für objective halten und folglich den bloßen Schein der | ||||||
03 | Wahrheit mit der Wahrheit selbst verwechseln. Denn darin besteht | ||||||
04 | eben das Wesen des Scheins, der um deswillen als ein Grund anzusehen | ||||||
05 | ist, eine falsche Erkenntniß für wahr zu halten. | ||||||
06 | Was den Irrthum möglich macht, ist also der Schein, nach welchem | ||||||
07 | im Urtheile das bloß Subjective mit dem Objectiven verwechselt wird. | ||||||
08 | In gewissem Sinne kann man wohl den Verstand auch zum Urheber | ||||||
09 | der Irrthümer machen, sofern er nämlich aus Mangel an erforderlicher | ||||||
10 | Aufmerksamkeit auf jenen Einfluß der Sinnlichkeit sich durch den hieraus | ||||||
11 | entsprungenen Schein verleiten läßt, bloß subjective Bestimmungsgründe | ||||||
12 | des Urtheils für objective zu halten, oder das, was nur nach Gesetzen der | ||||||
13 | Sinnlichkeit wahr ist, für wahr nach seinen eigenen Gesetzen gelten zu | ||||||
14 | lassen. | ||||||
15 | Nur die Schuld der Unwissenheit liegt demnach in den Schranken | ||||||
16 | des Verstandes, die Schuld des Irrthums haben wir uns selbst beizumessen. | ||||||
17 | Die Natur hat uns zwar viele Kenntnisse versagt, sie läßt uns über so | ||||||
18 | Manches in einer unvermeidlichen Unwissenheit, aber den Irrthum verursacht | ||||||
19 | sie doch nicht. Zu diesem verleitet uns unser eigener Hang zu urtheilen | ||||||
20 | und zu entscheiden, auch da, wo wir wegen unsrer Begrenztheit | ||||||
21 | zu urtheilen und zu entscheiden nicht vermögend sind. | ||||||
22 | Aller Irrthum, in welchen der menschliche Verstand gerathen kann, | ||||||
23 | ist aber nur partial, und in jedem irrigen Urtheile muß immer etwas | ||||||
24 | Wahres liegen. Denn ein totaler Irrthum wäre ein gänzlicher Widerstreit | ||||||
25 | wider die Gesetze des Verstandes und der Vernunft. Wie könnte | ||||||
26 | er, als solcher, auf irgend eine Weise aus dem Verstande kommen, und, | ||||||
27 | sofern er doch ein Urtheil ist, für ein Product des Verstandes gehalten | ||||||
28 | werden! | ||||||
29 | In Rücksicht auf das Wahre und Irrige in unserer Erkenntniß unterscheiden | ||||||
30 | wir ein genaues von einem rohen Erkenntnisse. | ||||||
31 | Genau ist das Erkenntniß, wenn es seinem Object angemessen ist, | ||||||
32 | oder wenn in Ansehung seines Objects nicht der mindeste Irrthum stattfindet, | ||||||
33 | roh ist es, wenn Irrthümer darin sein können, ohne eben der Absicht | ||||||
34 | hinderlich zu sein. | ||||||
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