Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 047 |
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01 | bei andern Ständen und in andern Dingen anzutreffen. Das Ceremoniell | ||||||
02 | an Höfen, im Umgange, was ist es anders als Formalienjagd | ||||||
03 | und Klauberei? Im Militär ist es nicht völlig so, ob es gleich so scheint. | ||||||
04 | Aber im Gespräche, in der Kleidung, in der Diät, in der Religion herrscht | ||||||
05 | oft viel Pedanterie. | ||||||
06 | Eine zweckmäßige Genauigkeit in Formalien ist Gründlichkeit | ||||||
07 | (schulgerechte, scholastische Vollkommenheit). Pedanterie ist also eine | ||||||
08 | affectirte Gründlichkeit, so wie Galanterie, als eine bloße Buhlerin um | ||||||
09 | den Beifall des Geschmacks, nichts als eine affectirte Popularität ist. | ||||||
10 | Denn die Galanterie ist nur bemüht, sich dem Leser gewogen zu machen | ||||||
11 | und ihn daher auch nicht einmal durch ein schweres Wort zu beleidigen. | ||||||
12 | Pedanterie zu vermeiden, dazu werden ausgebreitete Kenntnisse nicht | ||||||
13 | nur in den Wissenschaften selbst, sondern auch in Ansehung des Gebrauches | ||||||
14 | derselben erfordert. Daher kann sich nur der wahre Gelehrte von der Pedanterie | ||||||
15 | losmachen, die immer die Eigenschaft eines eingeschränkten | ||||||
16 | Kopfes ist. | ||||||
17 | Bei dem Bestreben, unserm Erkenntnisse die Vollkommenheit der | ||||||
18 | scholastischen Gründlichkeit und zugleich der Popularität zu verschaffen, | ||||||
19 | ohne darüber in die gedachten Fehler einer affectirten Gründlichkeit oder | ||||||
20 | einer affectirten Popularität zu gerathen, müssen wir vor Allem auf | ||||||
21 | die scholastische Vollkommenheit unsers Erkenntnisses, die schulgerechte | ||||||
22 | Form der Gründlichkeit, sehen und sodann erst dafür sorgen, wie wir | ||||||
23 | die methodisch in der Schule gelernte Erkenntniß wahrhaft populär, d. i. | ||||||
24 | Andern so leicht und allgemein mittheilbar machen, daß doch die Gründlichkeit | ||||||
25 | nicht durch die Popularität verdrängt werde. Denn um der populären | ||||||
26 | Vollkommenheit willen, dem Volke zu Gefallen, muß die scholastische | ||||||
27 | Vollkommenheit nicht aufgeopfert werden, ohne welche alle Wissenschaft | ||||||
28 | nichts als Spielwerk und Tändelei wäre. | ||||||
29 | Um aber wahre Popularität zu lernen, muß man die Alten lesen, | ||||||
30 | z. B. Cicero's philosophische Schriften, die Dichter Horaz, Virgil | ||||||
31 | u. s. w., unter den Neuern Hume, Shaftesbury u. a. m. Männer, die | ||||||
32 | alle vielen Umgang mit der verfeinerten Welt gehabt haben, ohne den | ||||||
33 | man nicht populär sein kann. Denn wahre Popularität erfordert viele | ||||||
34 | praktische Welt= und Menschenkenntniß, Kenntniß von den Begriffen, dem | ||||||
35 | Geschmacke und den Neigungen der Menschen, worauf bei der Darstellung | ||||||
36 | und selbst der Wahl schicklicher, der Popularität angemessener Ausdrücke | ||||||
37 | beständige Rücksicht zu nehmen ist. Eine solche Herablassung (Condescendenz) | ||||||
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