Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 025 |
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01 | Das Feld der Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedeutung läßt | ||||||
02 | sich auf folgende Fragen bringen: | ||||||
03 | 1) Was kann ich wissen? | ||||||
04 | 2) Was soll ich thun? | ||||||
05 | 3) Was darf ich hoffen? | ||||||
06 | 4) Was ist der Mensch? | ||||||
07 | Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, | ||||||
08 | die dritte die Religion und die vierte die Anthropologie. Im | ||||||
09 | Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich | ||||||
10 | die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen. | ||||||
11 | Der Philosoph muß also bestimmen können | ||||||
12 | 1) die Quellen des menschlichen Wissens, | ||||||
13 | 2) den Umfang des möglichen und nützlichen Gebrauchs alles Wissens | ||||||
14 | und endlich | ||||||
15 | 3) die Grenzen der Vernunft. | ||||||
16 | Das letztere ist das nöthigste aber auch das schwerste, um das sich | ||||||
17 | aber der Philodox nicht bekümmert. | ||||||
18 | Zu einem Philosophen gehören hauptsächlich zwei Dinge: 1) Cultur | ||||||
19 | des Talents und der Geschicklichkeit, um sie zu allerlei Zwecken zu gebrauchen. | ||||||
20 | 2) Fertigkeit im Gebrauch aller Mittel zu beliebigen Zwecken. | ||||||
21 | Beides muß vereinigt sein; denn ohne Kenntnisse wird man nie ein Philosoph | ||||||
22 | werden, aber nie werden auch Kenntnisse allein den Philosophen ausmachen, | ||||||
23 | wofern nicht eine zweckmäßige Verbindung aller Erkenntnisse | ||||||
24 | und Geschicklichkeiten zur Einheit hinzukommt und eine Einsicht in die | ||||||
25 | Übereinstimmung derselben mit den höchsten Zwecken der menschlichen | ||||||
26 | Vernunft. | ||||||
27 | Es kann sich überhaupt keiner einen Philosophen nennen, der nicht | ||||||
28 | philosophiren kann. Philosophiren läßt sich aber nur durch Übung und | ||||||
29 | selbsteigenen Gebrauch der Vernunft lernen. | ||||||
30 | Wie sollte sich auch Philosophie eigentlich lernen lassen? Jeder philosophische | ||||||
31 | Denker baut, so zu sagen, auf den Trümmern eines Andern sein | ||||||
32 | eigenes Werk, nie aber ist eines zu Stande gekommen, das in allen seinen | ||||||
33 | Theilen beständig gewesen wäre. Man kann daher schon aus dem Grunde | ||||||
34 | Philosophie nicht lernen, weil sie noch nicht gegeben ist. Gesetzt aber | ||||||
35 | auch, es wäre eine wirklich vorhanden: so würde doch keiner, der sie | ||||||
36 | auch lernte, von sich sagen können, daß er ein Philosoph sei, denn seine | ||||||
37 | Kenntniß davon wäre doch immer nur subjectiv=historisch. | ||||||
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