Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 015 |
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01 | Vernunftgebrauche, sondern lediglich mit den allgemeinen und nothwendigen | ||||||
02 | Gesetzen des Denkens überhaupt beschäftigt: so beruht sie auf Principien | ||||||
03 | a priori, aus denen alle ihre Regeln abgeleitet und bewiesen werden | ||||||
04 | können, als solche, denen alle Erkenntniß der Vernunft gemäß sein müßte. | ||||||
05 | Dadurch daß die Logik als eine Wissenschaft a priori oder als eine | ||||||
06 | Doctrin für einen Kanon des Verstandes= und Vernunftgebrauchs zu | ||||||
07 | halten ist, unterscheidet sie sich wesentlich von der Ästhetik, die als bloße | ||||||
08 | Kritik des Geschmacks keinen Kanon (Gesetz), sondern nur eine Norm | ||||||
09 | (Muster oder Richtschnur bloß zur Beurtheilung) hat, welche in der allgemeinen | ||||||
10 | Einstimmung besteht. Die Ästhetik nämlich enthält die Regeln | ||||||
11 | der Übereinstimmung des Erkenntnisses mit den Gesetzen der Sinnlichkeit; | ||||||
12 | die Logik dagegen die Regeln der Übereinstimmung des Erkenntnisses mit | ||||||
13 | den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft. Jene hat nur empirische | ||||||
14 | Principien und kann also nie Wissenschaft oder Doctrin sein, wofern man | ||||||
15 | unter Doctrin eine dogmatische Unterweisung aus Principien a priori | ||||||
16 | versteht, wo man alles durch den Verstand ohne anderweitige, von der | ||||||
17 | Erfahrung erhaltene Belehrungen einsieht, und die uns Regeln giebt, | ||||||
18 | deren Befolgung die verlangte Vollkommenheit verschafft. | ||||||
19 | Manche, besonders Redner und Dichter haben versucht, über den | ||||||
20 | Geschmack zu vernünfteln, aber nie haben sie ein entscheidendes Urtheil | ||||||
21 | darüber fällen können. Der Philosoph Baumgarten in Frankfurt hatte | ||||||
22 | den Plan zu einer Ästhetik, als Wissenschaft, gemacht. Allein richtiger hat | ||||||
23 | Home die Ästhetik Kritik genannt, da sie keine Regeln a priori giebt, | ||||||
24 | die das Urtheil hinreichend bestimmen, wie die Logik, sondern ihre Regeln | ||||||
25 | a posteriori hernimmt, und die empirischen Gesetze, nach denen wir das | ||||||
26 | Unvollkommnere und Vollkommnere (Schöne) erkennen, nur durch die | ||||||
27 | Vergleichung allgemeiner macht. | ||||||
28 | Die Logik ist also mehr als bloße Kritik; sie ist ein Kanon, der nachher | ||||||
29 | zur Kritik dient, d. h. zum Princip der Beurtheilung alles Verstandesgebrauchs | ||||||
30 | überhaupt, wiewohl nur seiner Richtigkeit in Ansehung | ||||||
31 | der bloßen Form, da sie kein Organon ist, so wenig als die allgemeine | ||||||
32 | Grammatik. | ||||||
33 | Als Propädeutik alles Verstandesgebrauchs überhaupt unterscheidet | ||||||
34 | sich die allgemeine Logik nun auch zugleich von einer andern Seite von | ||||||
35 | der transscendentalen Logik, in welcher der Gegenstand selbst als ein | ||||||
36 | Gegenstand des bloßen Verstandes vorgestellt wird; dagegen die allgemeine | ||||||
37 | Logik auf alle Gegenstände überhaupt geht. | ||||||
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