Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 012

     
           
 

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  01 gefunden hat. Es frägt sich also, da der Verstand die Quelle der Regeln      
  02 ist, nach welchen Regeln er selber verfahre?      
           
  03 Denn es leidet gar keinen Zweifel: wir können nicht denken oder      
  04 unsern Verstand nicht anders gebrauchen als nach gewissen Regeln. Diese      
  05 Regeln können wir nun aber wieder für sich selbst denken, d. h. wir können      
  06 sie ohne ihre Anwendung oder in abstracto denken. Welches sind nun      
  07 diese Regeln?      
           
  08 Alle Regeln, nach denen der Verstand verfährt, sind entweder nothwendig      
  09 oder zufällig. Die erstern sind solche, ohne welche gar kein Gebrauch      
  10 des Verstandes möglich wäre; die letztern solche, ohne welche ein      
  11 gewisser bestimmter Verstandesgebrauch nicht stattfinden würde. Die      
  12 zufälligen Regeln, welche von einem bestimmten Object der Erkenntniß      
  13 abhängen, sind so vielfältig als diese Objecte selbst. So giebt es z. B.      
  14 einen Verstandesgebrauch in der Mathematik, der Metaphysik, Moral      
  15 etc. Die Regeln dieses besondern bestimmten Verstandesgebrauches      
  16 in den gedachten Wissenschaften sind zufällig, weil es zufällig ist, ob ich      
  17 dieses oder jenes Object denke, worauf sich diese besondern Regeln beziehen.      
           
  19 Wenn wir nun aber alle Erkenntniß, die wir bloß von den Gegenständen      
  20 entlehnen müssen, bei Seite setzen und lediglich auf den Verstandesgebrauch      
  21 überhaupt reflectiren: so entdecken wir diejenigen Regeln      
  22 desselben, die in aller Absicht und unangesehen aller besondern Objecte      
  23 des Denkens schlechthin nothwendig sind, weil wir ohne sie gar nicht denken      
  24 würden. Diese Regeln können daher auch a priori d. i. unabhängig      
  25 von aller Erfahrung eingesehen werden, weil sie, ohne Unterschied      
  26 der Gegenstände, bloß die Bedingungen des Verstandesgebrauchs überhaupt,      
  27 er mag rein oder empirisch sein, enthalten. Und hieraus folgt      
  28 zugleich: daß die allgemeinen und nothwendigen Regeln des Denkens      
  29 überhaupt lediglich die Form, keinesweges die Materie desselben betreffen      
  30 können. Demnach ist die Wissenschaft, die diese allgemeinen und      
  31 nothwendigen Regeln enthält, bloß eine Wissenschaft von der Form unsers      
  32 Verstandeserkenntnisses oder des Denkens. Und wir können uns also eine      
  33 Idee von der Möglichkeit einer solchen Wissenschaft machen, so wie von      
  34 einer allgemeinen Grammatik, die nichts weiter als die bloße Form      
           
     

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