Kant: AA VIII, Anhang. ... , Seite 456

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Können, mithin das von allem, was wirklich geschieht, unabhängige      
  02 Sollen ein ebenmäßig von allem, was wirklich geschieht, unabhängiges      
  03 Können, oder sittliche Verbindlichkeit ursprüngliche Selbstthätigkeit voraussetzt,      
  04 die nun eigentlich dasjenige ist, was man unter Freiheit zu      
  05 denken hat und doch nicht zu begreifen weiß: so sucht der Vf., um dieser      
  06 Unbegreiflichkeit auszuweichen, umgekehrt einen Übergang von dem Können      
  07 zu dem Sollen zu finden. Nun giebt es allerdings ein Können, das auch      
  08 wohl Freiheit heißt und doch ganz verständlich ist: so fern nämlich der      
  09 Mensch nicht wie die Maschine durch Stoß, oder wie das Thier durch Gefühl,      
  10 sondern durch Gedanken wirksam ist; und so fern alle Gedanken, die      
  11 dem Menschen vermittelst des inneren Sinnes nur irgend gegenwärtig      
  12 werden und zur Wahrnehmung sich anbieten mögen, in Rücksicht ihres      
  13 Entstehens, Ausbleibens, Wiederkommens, der Zunahme und Abnahme      
  14 ihrer Klarheit, Lebhaftigkeit und Wirksamkeit, kurz in Rücksicht ihrer Erscheinung      
  15 und Abwechselung eben sowohl wie alle andere Phänomene der      
  16 Sinnenwelt sich müssen begreifen und erklären lassen. Und das ist es auch,      
  17 wovon der Vf. ausgeht, wenn er die Freiheit unter andern (S. 59) durch      
  18 die Verbesserlichkeit unserer praktischen Erkenntniß erklärt und bei dem      
  19 Aufzählen der Ursachen, wovon die Erwerbung und Entwickelung der praktischen      
  20 Erkenntniß abhänge, z. E. theils der Gelegenheit, des Unterrichts,      
  21 der Erfahrung, theils des vorsätzlichen Nachdenkens, der vorsätzlichen Aufmerksamkeit,      
  22 Übung etc., in Absicht des letzteren freimüthig überall,      
  23 besonders S. 62, hinzufügt: "daß alles dies Vorsätzliche selbst wieder von      
  24 tausenderlei Umständen abhänge, die in der gesammten Verknüpfung (der      
  25 physischen Ursachen) liegen". Dies Geständniß erheischt freilich sein System      
  26 durchaus, indem alles Psychologische in Absicht der Erklärbarkeit als      
  27 Gegenstand der Wahrnehmung sich an die Reihe des Mechanischen, Chemischen,      
  28 Organischen anschließt und damit als eben so viel besondere Nebenarten      
  29 die Hauptgattung des Physischen bildet. Aber nun der Übergang      
  30 von dieser Namenfreiheit, die nichts als Naturnothwendigkeit ist, zu      
  31 der davon ganz abgeschnittenen Moralität, oder von diesem abhängigen      
  32 Können zu dem absoluten Sollen? - Der Übergang? Ja, statt den zu      
  33 zeigen, worauf doch eben alles ankam, klagt der Vf. S. 17, "der Begriff      
  34 des absoluten Sollens (der freilich der eigentliche Plagegeist für den empirischen      
  35 Moralisten ist) sei einer der schwersten in der ganzen Moral,      
  36 dessen Untersuchung er sich auf eine andere Zeit vorbehalte;" bittet S. 38      
  37 seine Zuhörer, "sich an dasjenige zu erinnern, was sie in den moralischen      
           
     

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