Kant: AA VIII, Von einem neuerdings erhobenen ... , Seite 402 |
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Text (Kant):
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| 01 | sie uns besser mache." - Von dieser Probe kann nicht verlangt werden, | ||||||
| 02 | daß das (durchs Geheimnißgefühl bewirkte) Besserwerden des Menschen | ||||||
| 03 | von einem dessen Moralität auf der Probirkapelle untersuchenden Münzwardein | ||||||
| 04 | attestirt werde; denn den Schrot guter Handlungen kann zwar | ||||||
| 05 | Jeder leicht wägen, aber wie viel auf die Mark Fein sie in der Gesinnung | ||||||
| 06 | enthalten, wer kann darüber ein öffentlich geltendes Zeugniß ablegen? | ||||||
| 07 | Und ein solches müßte es doch sein, wenn dadurch bewiesen werden soll, | ||||||
| 08 | daß jenes Gefühl überhaupt bessere Menschen mache, wogegen die wissenschaftliche | ||||||
| 09 | Theorie unfruchtbar und thatlos sei. Den Probirstein hiezu | ||||||
| 10 | kann also keine Erfahrung liefern, sondern er muß allein in der praktischen | ||||||
| 11 | Vernunft als a priori gegeben gesucht werden. Die innere Erfahrung | ||||||
| 12 | und das Gefühl (welches an sich empirisch und hiemit zufällig ist) wird | ||||||
| 13 | allein durch die Stimme der Vernunft ( dictamen rationis ), die zu Jedermann | ||||||
| 14 | deutlich spricht und einer wissenschaftlichen Erkenntniß fähig ist, | ||||||
| 15 | aufgeregt; nicht aber etwa durchs Gefühl eine besondere praktische Regel | ||||||
| 16 | für die Vernunft eingeführt, welches unmöglich ist: weil jene sonst nie | ||||||
| 17 | allgemeingültig sein könnte. Man muß also a priori einsehen können, | ||||||
| 18 | welches Princip bessere Menschen machen könne und werde, wenn man es | ||||||
| 19 | nur deutlich und unablässig an ihre Seele bringt und auf den mächtigen | ||||||
| 20 | Eindruck Acht giebt, den es auf sie macht. | ||||||
| 21 | Nun findet jeder Mensch in seiner Vernunft die Idee der Pflicht und | ||||||
| 22 | zittert beim Anhören ihrer ehernen Stimme, wenn sich in ihm Neigungen | ||||||
| 23 | regen, die ihn zum Ungehorsam gegen sie versuchen. Er ist überzeugt: | ||||||
| 24 | daß, wenn auch die letztern insgesammt vereinigt sich gegen jene verschwören, | ||||||
| 25 | die Majestät des Gesetzes, welches ihm seine eigene Vernunft | ||||||
| 26 | vorschreibt, sie doch alle unbedenklich überwiegen müsse, und sein Wille | ||||||
| 27 | also auch dazu vermögend sei. Alles dieses kann und muß dem Menschen, | ||||||
| 28 | wenn gleich nicht wissenschaftlich, doch deutlich vorgestellt werden, damit | ||||||
| 29 | er sowohl der Autorität seiner ihm gebietenden Vernunft, als auch ihrer | ||||||
| 30 | Gebote selbst gewiß sei; und ist so fern Theorie. - Nun stelle ich den | ||||||
| 31 | Menschen auf, wie er sich selbst fragt: Was ist das in mir, welches macht, | ||||||
| 32 | daß ich die innigsten Anlockungen meiner Triebe und alle Wünsche, die | ||||||
| 33 | aus meiner Natur hervorgehen, einem Gesetze aufopfern kann, welches mir | ||||||
| 34 | keinen Vortheil zum Ersatz verspricht und keinen Verlust bei Übertretung | ||||||
| 35 | desselben androht; ja das ich nur um desto inniglicher verehre, je strenger | ||||||
| 36 | es gebietet und je weniger es dafür anbietet? Diese Frage regt durch das | ||||||
| 37 | Erstaunen über die Größe und Erhabenheit der inneren Anlage in der | ||||||
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