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Kant: AA VIII, Von einem neuerdings erhobenen ... , Seite 399 |
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Text (Kant): |
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01 |
der Menschen kann nur die Morgenröthe zeichnen; die Sonne muß |
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geahnt werden." Aber niemand kann doch eine Sonne ahnen, wenn er |
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nicht sonst schon eine gesehen hat; denn es könnte wohl sein, daß auf unserem |
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Glob regelmäßig auf die Nacht Tag folgte (wie in der Mosaischen Schöpfungsgeschichte), |
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ohne daß man wegen des beständig bezogenen Himmels |
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jemals eine Sonne zu sehen bekäme, und alle Geschäfte gleichwohl nach |
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diesem Wechsel (des Tages und der Jahreszeit) ihren gehörigen Gang |
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nähmen. Indeß würde in einem solchen Zustande der Dinge ein wahrer |
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Philosoph eine Sonne zwar nicht ahnen (denn das ist nicht seine Sache), |
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aber doch vielleicht darauf rathen können, um durch Annehmung |
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einer Hypothese von einem solchen Himmelskörper jenes Phänomen zu |
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erklären, und es auch so glücklich treffen können. - Zwar in die Sonne |
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(das Übersinnliche) hinein sehen, ohne zu erblinden, ist nicht möglich; aber |
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sie in der Reflexe (der die Seele moralisch erleuchtenden Vernunft) und |
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selbst in praktischer Absicht hinreichend zu sehen, wie der ältere Plato that, |
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ist ganz thunlich: wogegen die Neuplatoniker "uns sicher nur eine Theatersonne |
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geben," weil sie uns durch Gefühle (Ahnungen), d. i. bloß das Subjective, |
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was gar keinen Begriff von dem Gegenstande giebt, täuschen |
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wollen, um uns mit dem Wahn einer Kenntniß des Objectiven hinzuhalten, |
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was aufs Überschwengliche angelegt ist. - In solchen bildlichen Ausdrücken, |
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die jenes Ahnen verständlich machen sollen, ist nun der platonisirende |
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Gefühlsphilosoph unerschöpflich: z. B. "der Göttin Weisheit so nahe zu |
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kommen, daß man das Rauschen ihres Gewandes vernehmen kann;" |
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aber auch in Preisung der Kunst des Afterplato, "da er den Schleier |
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der Isis nicht aufheben kann, ihn doch so dünne zu machen, daß man |
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unter ihm die Göttin ahnen kann." Wie dünne, wird hiebei nicht gesagt; |
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vermuthlich doch noch so dicht, daß man aus dem Gespenst machen kann, |
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was man will: denn sonst wäre es ein Sehen, welches ja vermieden werden |
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sollte. |
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Zu ebendemselben Behuf werden nun beim Mangel scharfer Beweise |
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"Analogieen, Wahrscheinlichkeiten" (von denen schon oben geredet worden) |
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und "Gefahr vor Entmannung der durch metaphysische*) Sublimation so |
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*) Was der Neuplatoniker bisher gesprochen hat, ist, was die Behandlung seines Thema betrifft, lauter Metaphysik und kann also nur die formalen Principien der Vernunft angehen. Sie schiebt aber auch eine Hyperphysik, d. i. nicht etwa Principien der praktischen Vernunft, sondern eine Theorie von der Natur des Übersinnlichen (von Gott, dem menschlichen Geist), unvermerkt mit unter und [Seitenumbruch] will diese "nicht so gar fein" gesponnen wissen. Wie gar nichts aber eine Philosophie, die hier die Materie (das Object) der reinen Vernunftbegriffe betrifft, sei, wenn sie (wie in der transscendentalen Theologie) nicht von allen empirischen Fäden sorgfältig abgelöset worden, mag durch folgendes Beispiel erläutert werden. Der transscendentale Begriff von Gott, als dem allerrealsten Wesen, kann in der Philosophie nicht umgangen werden, so abstract er auch ist; denn er gehört zum Verbande und zugleich zur Läuterung aller concreten, die nachher in die angewandte Theologie und Religionslehre hineinkommen mögen. Nun fragt sich: soll ich mir Gott als Inbegriff ( complexus, aggregatum ) aller Realitäten, oder als obersten Grund derselben denken? Thue ich das erstere, so muß ich von diesem Stoff, woraus ich das höchste Wesen zusammensetze, Beispiele anführen, damit der Begriff derselben nicht gar leer und ohne Bedeutung sei. Ich werde ihm also etwa Verstand, oder auch einen Willen u. d. g. als Realitäten beilegen. Nun ist aber aller Verstand, den ich kenne, ein Vermögen zu denken, d. i. ein discursives Vorstellungsvermögen, oder ein solches, was durch ein Merkmal, das mehreren Dingen gemein ist (von deren Unterschiede ich also im Denken abstrahiren muß), mithin nicht ohne Beschränkung des Subjects möglich ist. Folglich ist ein göttlicher Verstand nicht für ein Denkungsvermögen anzunehmen. Ich habe aber von einem andern Verstande, der etwa ein Anschauungsvermögen wäre, nicht den mindesten Begriff; folglich ist der von einem Verstande, den ich in dem höchsten Wesen setze, völlig sinnleer. - Ebenso: wenn ich in ihm eine andere Realität, einen Willen, setze, durch den er Ursache aller Dinge außer ihm ist, so muß ich einen solchen annehmen, bei welchem seine Zufriedenheit ( acquiescentia ) durchaus nicht vom Dasein der Dinge außer ihm abhängt; denn das wäre Einschränkung ( negatio ). Nun habe ich wiederum nicht den mindesten Begriff, kann auch kein Beispiel von einem Willen geben, bei welchem das Subject nicht seine Zufriedenheit auf dem Gelingen seines Wollens gründete, der also nicht von dem Dasein des äußeren Gegenstandes abhinge. Also ist der Begriff von einem Willen des höchsten Wesens, als einer ihm inhärirenden Realität, sowie der vorige entweder ein leerer, oder (welches noch schlimmer ist) ein anthropomorphistischer Begriff, der, wenn er, wie unvermeidlich ist, ins Praktische gezogen wird, alle Religion verdirbt und sie in Idololatrie verwandelt. - Mache ich mir aber vom ens realissimum den Begriff als Grund aller Realität, so sage ich: Gott ist das Wesen, welches den Grund alles dessen in der Welt enthält, wozu wir Menschen einen Verstand anzunehmen nöthig haben (z. B. alles Zweckmäßigen in [Seitenumbruch] derselben); er ist das Wesen, von welchem das Dasein aller Weltwesen seinen Ursprung hat, nicht aus der Nothwendigkeit seiner Natur ( per emanationem ), sondern nach einem Verhältnisse, wozu wir Menschen einen freien Willen annehmen müssen, um uns die Möglichkeit desselben verständlich zu machen. Hier kann uns nun, was die Natur des höchsten Wesens (objectiv) sei, ganz unerforschlich und ganz außer der Sphäre aller uns möglichen theoretischen Erkenntniß gesetzt sein und doch (subjectiv) diesen Begriffen Realität in praktischer Rücksicht (auf den Lebenswandel) übrig bleiben; in Beziehung auf welche auch allein eine Analogie des göttlichen Verstandes und Willens mit dem des Menschen und dessen praktischer Vernunft angenommen werden kann, ungeachtet theoretisch betrachtet dazwischen gar keine Analogie Statt findet. Aus dem moralischen Gesetz, welches uns unsere eigene Vernunft mit Autorität vorschreibt, nicht aus der Theorie der Natur der Dinge an sich selbst geht nun der Begriff von Gott hervor, welchen uns selbst zu machen die praktische reine Vernunft nöthigt. Wenn daher einer von den Kraftmännern, welche neuerdings mit Begeisterung eine Weisheit verkündigen, die ihnen keine Mühe macht, weil sie diese Göttin beim Zipfel ihres Gewandes erhascht und sich ihrer bemächtigt zu haben vorgeben, sagt: er verachte denjenigen, der sich seinen Gott zu machen denkt, so gehört das zu den Eigenheiten ihrer Kaste, deren Ton (als besonders Begünstigter) vornehm ist. Denn es ist für sich selbst klar: das ein Begriff, der aus unserer Vernunft hervorgehen muß, von uns selbst gemacht sein müsse. Hätten wir ihn von irgend einer Erscheinung (einem Erfahrungsgegenstande) abnehmen wollen, so wäre unser Erkenntnißgrund empirisch und zur Gültigkeit für jedermann, mithin zu der apodiktischen praktischen Gewißheit, die ein allgemein verbindendes Gesetz haben muß, untauglich. Vielmehr müßten wir eine Weisheit, die uns persönlich erschiene, zuerst an jenen von uns selbst gemachten Begriff als das Urbild halten, um zu sehen, ob diese Person auch dem Charakter jenes selbst gemachten Urbildes entspreche; und selbst alsdann noch, wenn wir nichts an ihr antreffen, was diesem widerspricht, ist es doch schlechterdings unmöglich die Angemessenheit mit demselben anders als durch übersinnliche Erfahrung (weil der Gegenstand übersinnlich ist) zu erkennen: welches sich widerspricht. Die Theophanie macht also aus der Idee des Plato ein Idol, welches nicht anders als abergläubisch verehrt werden kann; wogegen die Theologie, die von Begriffen unsrer eigenen Vernunft ausgeht, ein Ideal aufstellt, welches uns Anbetung abzwingt, da es selbst aus den heiligsten von der Theologie unabhängigen Pflichten entspringt. |
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