Kant: AA VIII, Von einem neuerdings erhobenen ... , Seite 398 |
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01 | Daß hierin nun ein gewisser mystischer Takt, ein Übersprung ( salto | ||||||
02 | mortale ) von Begriffen zum Undenkbaren, ein Vermögen der Ergreifung | ||||||
03 | dessen, was kein Begriff erreicht, eine Erwartung von Geheimnissen, oder | ||||||
04 | vielmehr Hinhaltung mit solchen, eigentlich aber Verstimmung der Köpfe | ||||||
05 | zur Schwärmerei liege: leuchtet von selbst ein. Denn Ahnung ist dunkle | ||||||
06 | Vorerwartung und enthält die Hoffnung eines Aufschlusses, der aber in | ||||||
07 | Aufgaben der Vernunft nur durch Begriffe möglich ist, wenn also jene | ||||||
08 | transscendent sind und zu keinem eigenen Erkenntniß des Gegenstandes | ||||||
09 | führen können, nothwendig ein Surrogat derselben, übernatürliche Mittheilung | ||||||
10 | (mystische Erleuchtung), verheißen müssen: was dann der Tod | ||||||
11 | aller Philosophie ist. | ||||||
12 | Plato der Akademiker ward also, obzwar ohne seine Schuld (denn | ||||||
13 | er gebrauchte seine intellectuellen Anschauungen nur rückwärts, zum Erklären | ||||||
14 | der Möglichkeit eines synthetischen Erkenntnisses a priori, nicht | ||||||
15 | vorwärts, um es durch jene im göttlichen Verstande lesbare Ideen zu | ||||||
16 | erweitern), der Vater aller Schwärmerei mit der Philosophie. | ||||||
17 | Ich möchte aber nicht gern den (neuerlich ins Deutsche übersetzten) Plato | ||||||
18 | den Briefsteller mit dem ersteren vermengen. Dieser will außer "den | ||||||
19 | vier zur Erkenntniß gehörigen Dingen, dem Namen des Gegenstandes, | ||||||
20 | der Beschreibung, der Darstellung und der Wissenschaft, noch ein | ||||||
21 | fünftes [ Rad am Wagen ], nämlich noch den Gegenstand selbst und | ||||||
22 | sein wahres Sein." - "Dieses unveränderliche Wesen, das sich nur in | ||||||
23 | der Seele und durch die Seele anschauen läßt, in dieser aber wie von | ||||||
24 | einem springenden Funken Feuers sich von selbst ein Licht anzündet, will er | ||||||
25 | [ als exaltirter Philosoph ] ergriffen haben; von welchem man gleichwohl nicht | ||||||
26 | reden könne, weil man sofort seiner Unwissenheit überführt werden würde, | ||||||
27 | am wenigsten zum Volk: weil jeder Versuch dieser Art schon gefährlich | ||||||
28 | sein würde, theils dadurch daß diese hohen Wahrheiten einer plumpen | ||||||
29 | Verachtung ausgesetzt, theils [ was hier das einzige Vernünftige ist ] da | ||||||
30 | die Seele zu leeren Hoffnungen und zum eiteln Wahn der Kenntniß | ||||||
31 | großer Geheimnisse gespannt werden dürfte." | ||||||
32 | Wer sieht hier nicht den Mystagogen, der nicht bloß für sich schwärmt, | ||||||
33 | sondern zugleich Klubbist ist und, indem er zu seinen Adepten im Gegensatz | ||||||
34 | von dem Volke (worunter alle Uneingeweihte verstanden werden) spricht, | ||||||
35 | mit seiner vorgeblichen Philosophie vornehm thut! - Es sei mir erlaubt, | ||||||
36 | einige neuere Beispiele davon anzuführen. | ||||||
37 | In der neueren mystisch=platonischen Sprache heißt es: "Alle Philosophie | ||||||
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