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Kant: AA VIII, Von einem neuerdings erhobenen ... , Seite 395 |
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Text (Kant): |
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01 |
Das Princip, durch Einfluß eines höheren Gefühls philosophiren |
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zu wollen, ist unter allen am meisten für den vornehmen Ton gemacht; |
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denn wer will mir mein Gefühl streiten? Kann ich nun noch glaubhaft |
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machen, daß dieses Gefühl nicht bloß subjectiv in mir sei, sondern einem |
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Jeden angesonnen werden könne, mithin auch objectiv und als Erkenntnißstück, |
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also nicht etwa bloß als Begriff vernünftelt, sondern als Anschauung |
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(Auffassung des Gegenstandes selbst) gelte: so bin ich in großem Vortheil |
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über alle die, welche sich allererst rechtfertigen müssen, um sich der Wahrheit |
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ihrer Behauptungen berühmen zu dürfen. Ich kann daher in dem Tone |
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eines Gebieters sprechen, der der Beschwerde überhoben ist den Titel seines |
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Besitzes zu beweisen ( beati possidentes ). - Es lebe also die Philosophie |
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aus Gefühlen, die uns gerade zur Sache selbst führt! Weg mit der Vernünftelei |
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aus Begriffen, die es nur durch den Umschweif allgemeiner Merkmale |
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versucht, und die, ehe sie noch einen Stoff hat, den sie unmittelbar |
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ergreifen kann, vorher bestimmte Formen verlangt, denen sie jenen Stoff |
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unterlegen könne! Und gesetzt auch, die Vernunft könne sich über die Rechtmäßigkeit |
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des Erwerbs dieser ihrer hohen Einsichten gar nicht weiter erklären, |
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so bleibt es doch ein Factum: "Die Philosophie hat ihre fühlbaren |
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Geheimnisse*)." |
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*) Ein berühmter Besitzer derselben drückt sich hierüber so aus: "So lange die Vernunft, als Gesetzgeberin des Willens, zu den Phänomenen (versteht sich hier, freien Handlungen der Menschen) sagen muß: du gefällst mir - du gefällst mir nicht, solange muß sie die Phänomene als Wirkungen von Realitäten ansehen;" woraus er dann folgert: daß ihre Gesetzgebung nicht bloß einer Form, sondern einer Materie (Stoffs, Zwecks) als Bestimmungsgrundes des Willens bedürfe, d. i. ein Gefühl der Lust (oder Unlust) an einem Gegenstande müsse vorhergehen, wenn die Vernunft praktisch sein soll. - - Dieser Irrthum, der, wenn man ihn einschleichen ließe, alle Moral vertilgen und nichts als die Glückseligkeits=Maxime, die eigentlich gar kein objectives Princip haben kann (weil sie nach Verschiedenheit der Subjecte verschieden ist), übrig lassen würde; dieser Irrthum, sage ich, kann nur durch folgenden Probirstein der Gefühle sicher ans Licht gestellt werden. Diejenige Lust (oder Unlust), die nothwendig vor dem Gesetz vorhergehen muß, damit die That geschehe, ist pathologisch; diejenige aber, vor welcher, damit diese geschehe, das Gesetz nothwendig vorhergehen muß, ist moralisch. Jene hat empirische Principien (die Materie der Willkür), diese ein reines Princip a priori zum Grunde (bei dem es lediglich auf die Form der Willensbestimmung ankommt). - Hiemit kann auch der Trugschluß ( fallacia causae non causae ) leicht aufgedeckt werden, da der Eudämonist vorgiebt: die Lust (Zufriedenheit), die ein rechtschaffener Mann im Prospect hat, um sie im Bewußtsein [Seitenumbruch] seines wohlgeführten Lebenswandels dereinst zu fühlen, (mithin die Aussicht auf seine künftige Glückseligkeit) sei doch die eigentliche Triebfeder, seinen Lebenswandel wohl (dem Gesetze gemäß) zu führen. Denn da ich ihn doch vorher als rechtschaffen und dem Gesetz gehorsam, d. i. als einen, bei dem das Gesetz vor der Lust vorhergeht, annehmen muß, um künftig im Bewußtsein seines wohlgeführten Lebenswandels eine Seelenlust zu fühlen: so ist es ein leerer Zirkel im Schließen, um die letztere, die eine Folge ist, zur Ursache jenes Lebenswandels zu machen. Was aber gar den Synkretism einiger Moralisten betrifft: die Eudämonie, wenn gleich nicht ganz, doch zum Theil zum objectiven Princip der Sittlichkeit zu machen (wenn man gleich, daß jene unvermerkt auch subjectiv auf die mit der Pflicht übereinstimmende Willensbestimmung des Menschen mit Einfluß habe, einräumt): so ist das doch der gerade Weg ohne alles Princip zu sein. Denn die sich einmengenden, von der Glückseligkeit entlehnten Triebfedern, ob sie zwar zu eben denselben Handlungen, als die aus reinen moralischen Grundsätzen fließen, hinwirken, verunreinigen und schwächen doch zugleich die moralische Gesinnung selbst, deren Werth und hoher Rang eben darin besteht, unangesehen derselben, ja mit Überwindung aller ihrer Anpreisungen keinem andern als dem Gesetz seinen Gehorsam zu beweisen. |
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