Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 355

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 mithin auch die Menge der Werkzeuge zu noch ausgebreitetern      
  02 Kriegen durch sie zu vermehren wissen.      
           
  03 Bei der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhältniß      
  04 der Völker unverhohlen blicken läßt (indessen daß sie im bürgerlich      
  05 gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleiert),      
  06 ist es doch zu verwundern, daß das Wort Recht aus der Kriegspolitik      
  07 noch nicht als pedantisch ganz hat verwiesen werden können, und sich noch      
  08 kein Staat erkühnt hat, sich für die letztere Meinung öffentlich zu erklären;      
  09 denn noch werden Hugo Grotius, Pufendorf, Vattel u. a. m. (lauter      
  10 leidige Tröster), obgleich ihr Codex, philosophisch oder diplomatisch abgefaßt,      
  11 nicht die mindeste gesetzliche Kraft hat, oder auch nur haben kann      
  12 (weil Staaten als solche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußeren      
  13 Zwange stehen), immer treuherzig zur Rechtfertigung eines Kriegsangriffs      
  14 angeführt, ohne daß es ein Beispiel giebt, daß jemals ein Staat      
  15 durch mit Zeugnissen so wichtiger Männer bewaffnete Argumente wäre      
  16 bewogen worden, von seinem Vorhaben abzustehen. - Diese Huldigung,      
  17 die jeder Staat dem Rechtsbegriffe (wenigstens den Worten nach) leistet,      
  18 beweist doch, daß eine noch größere, obzwar zur Zeit schlummernde, moralische      
  19 Anlage im Menschen anzutreffen sei, über das böse Princip in ihm      
  20 (was er nicht ableugnen kann) doch einmal Meister zu werden und dies      
  21 auch von andern zu hoffen; denn sonst würde das Wort Recht den Staaten,      
  22 die sich einander befehden wollen, nie in den Mund kommen, es sei denn,      
  23 bloß um seinen Spott damit zu treiben, wie jener gallische Fürst es erklärte:      
  24 "Es ist der Vorzug, den die Natur dem Stärkern über den Schwächern      
  25 gegeben hat, daß dieser ihm gehorchen soll."      
           
  26 Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie wie bei einem      
  27 äußern Gerichtshofe der Proceß, sondern nur der Krieg sein kann, durch      
  28 diesen aber und seinen günstigen Ausschlag, den Sieg, das Recht nicht      
  29 entschieden wird, und durch den Friedensvertrag zwar wohl dem      
  30 diesmaligen Kriege, aber nicht dem Kriegszustande (immer zu einem      
  31 neuen Vorwand zu finden) ein Ende gemacht wird (den man auch nicht      
  32 geradezu für ungerecht erklären kann, weil in diesem Zustande jeder in      
  33 seiner eigenen Sache Richter ist), gleichwohl aber von Staaten nach dem      
  34 Völkerrecht nicht eben das gelten kann, was von Menschen im gesetzlosen      
  35 Zustande nach dem Naturrecht gilt, "aus diesem Zustande herausgehen      
  36 zu sollen" (weil sie als Staaten innerlich schon eine rechtliche Verfassung      
  37 haben und also dem Zwange anderer, sie nach ihren Rechtsbegriffen unter      
           
     

[ Seite 354 ] [ Seite 356 ] [ Inhaltsverzeichnis ]