Kant: AA VIII, Das Ende aller ... , Seite 337 |
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01 | dem Laufe der Natur ausfallen dürfte, immer ungewiß bleibt, ihn der | ||||||
02 | Vorsehung zu überlassen. Denn, man mag so schwergläubig sein, | ||||||
03 | wie man will, so muß man doch, wo es schlechterdings unmöglich ist, den | ||||||
04 | Erfolg aus gewissen nach aller menschlichen Weisheit (die, wenn sie ihren | ||||||
05 | Namen verdienen soll, lediglich auf das moralische gehen muß) genommenen | ||||||
06 | Mitteln mit Gewißheit voraus zu sehn, eine Concurrenz göttlicher | ||||||
07 | Weisheit zum Laufe der Natur auf praktische Art glauben, wenn man | ||||||
08 | seinen Endzweck nicht lieber gar aufgeben will. - Zwar wird man einwenden: | ||||||
09 | Schon oft ist gesagt worden, der gegenwärtige Plan ist der beste; | ||||||
10 | bei ihm muß es von nun an auf immer bleiben, das ist jetzt ein Zustand | ||||||
11 | für die Ewigkeit. "Wer (nach diesem Begriffe) gut ist, der ist immerhin | ||||||
12 | gut, und wer (ihm zuwider) böse ist, ist immerhin böse" (Apokal. XXII, | ||||||
13 | 11): gleich als ob die Ewigkeit und mit ihr das Ende aller Dinge schon | ||||||
14 | jetzt eingetreten sein könne; - und gleichwohl sind seitdem immer neue | ||||||
15 | Plane, unter welchen der neueste oft nur die Wiederherstellung eines alten | ||||||
16 | war, auf die Bahn gebracht worden, und es wird auch an mehr letzten | ||||||
17 | Entwürfen fernerhin nicht fehlen. | ||||||
18 | Ich bin mir so sehr meines Unvermögens, hierin einen neuen und | ||||||
19 | glücklichen Versuch zu machen, bewußt, daß ich, wozu freilich keine große | ||||||
20 | Erfindungskraft gehört, lieber rathen möchte: die Sachen so zu lassen, wie | ||||||
21 | sie zuletzt standen und beinahe ein Menschenalter hindurch sich als erträglich | ||||||
22 | gut in ihren Folgen bewiesen hatten. Da das aber wohl nicht die | ||||||
23 | Meinung der Männer von entweder großem oder doch unternehmendem | ||||||
24 | Geiste sein möchte: so sei es mir erlaubt, nicht sowohl, was sie zu thun, | ||||||
25 | sondern wogegen zu verstoßen sie sich ja in Acht zu nehmen hätten, weil | ||||||
26 | sie sonst ihrer eignen Absicht (wenn sie auch die beste wäre) zuwider | ||||||
27 | handeln würden, bescheidentlich anzumerken. | ||||||
28 | Das Christenthum hat außer der größten Achtung, welche die Heiligkeit | ||||||
29 | seiner Gesetze unwiderstehlich einflößt, noch etwas Liebenswürdiges | ||||||
30 | in sich. (Ich meine hier nicht die Liebenswürdigkeit der Person, | ||||||
31 | die es uns mit großen Aufopferungen erworben hat, sondern der Sache | ||||||
32 | selbst: nämlich der sittlichen Verfassung, die Er stiftete; denn jene läßt | ||||||
33 | sich nur aus dieser folgern.) Die Achtung ist ohne Zweifel das Erste, | ||||||
34 | weil ohne sie auch keine wahre Liebe Statt findet; ob man gleich ohne Liebe | ||||||
35 | doch große Achtung gegen Jemand hegen kann. Aber wenn es nicht bloß | ||||||
36 | auf Pflichtvorstellung, sondern auch auf Pflichtbefolgung ankommt, wenn | ||||||
37 | man nach dem subjectiven Grunde der Handlungen fragt, aus welchem, | ||||||
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