Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 305 |
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01 | als von dem eigentlichen Willen des Gesetzgebers (seiner Absicht) | ||||||
02 | ausgehend angesehen werden könne, so frage man sich zuerst: ob ein Volk | ||||||
03 | es sich selbst zum Gesetz machen dürfe, daß gewisse einmal angenommene | ||||||
04 | Glaubenssätze und Formen der äußern Religion für immer bleiben sollen; | ||||||
05 | also ob es sich selbst in seiner Nachkommenschaft hindern dürfe, in Religionseinsichten | ||||||
06 | weiter fortzuschreiten, oder etwanige alte Irrthümer abzuändern. | ||||||
07 | Da wird nun klar, daß ein ursprünglicher Contract des Volks, | ||||||
08 | welcher dieses zum Gesetz machte, an sich selbst null und nichtig sein würde: | ||||||
09 | weil er wider die Bestimmung und Zwecke der Menschheit streitet; mithin | ||||||
10 | ein darnach gegebenes Gesetz nicht als der eigentliche Wille des Monarchen, | ||||||
11 | dem also Gegenvorstellungen gemacht werden können, anzusehen ist. | ||||||
12 | In allen Fällen aber, wenn etwas gleichwohl doch von der obersten Gesetzgebung | ||||||
13 | so verfügt wäre, können zwar allgemeine und öffentliche Urtheile | ||||||
14 | darüber gefällt, nie aber wörtlicher oder thätlicher Widerstand dagegen | ||||||
15 | aufgeboten werden. | ||||||
16 | Es muß in jedem gemeinen Wesen ein Gehorsam unter dem Mechanismus | ||||||
17 | der Staatsverfassung nach Zwangsgesetzen (die aufs Ganze gehen), | ||||||
18 | aber zugleich ein Geist der Freiheit sein, da jeder in dem, was allgemeine | ||||||
19 | Menschenpflicht betrifft, durch Vernunft überzeugt zu sein verlangt, | ||||||
20 | daß dieser Zwang rechtmäßig sei, damit er nicht mit sich selbst in Widerspruch | ||||||
21 | gerathe. Der erstere ohne den letzteren ist die veranlassende Ursache | ||||||
22 | aller geheimen Gesellschaften. Denn es ist ein Naturberuf der | ||||||
23 | Menschheit, sich vornehmlich in dem, was den Menschen überhaupt angeht, | ||||||
24 | einander mitzutheilen; jene Gesellschaften also würden wegfallen, wenn | ||||||
25 | diese Freiheit begünstigt wird. Und wodurch anders können auch der Regierung | ||||||
26 | die Kenntnisse kommen, die ihre eigene wesentliche Absicht befördern, | ||||||
27 | als daß sie den in seinem Ursprung und in seinen Wirkungen so | ||||||
28 | achtungswürdigen Geist der Freiheit sich äußern läßt? | ||||||
29 | Nirgend spricht eine alle reine Vernunftprincipien vorbeigehende | ||||||
30 | Praxis mit mehr Anmaßung über Theorie ab, als in der Frage über die | ||||||
31 | Erfordernisse zu einer guten Staatsverfassung. Die Ursache ist, weil eine | ||||||
32 | lange bestandene gesetzliche Verfassung das Volk nach und nach an eine | ||||||
33 | Regel gewöhnt, ihre Glückseligkeit sowohl als ihre Rechte nach dem Zustande | ||||||
34 | zu beurtheilen, in welchem Alles bisher in seinem ruhigen Gange | ||||||
35 | gewesen ist; nicht aber umgekehrt diesen letzteren nach Begriffen, die ihnen | ||||||
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