Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 276 |
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01 | Anspruch machen kann. - Es kann also Niemand sich für praktisch bewandert | ||||||
02 | in einer Wissenschaft ausgeben und doch die Theorie verachten, | ||||||
03 | ohne sich bloß zu geben, daß er in seinem Fache ein Ignorant sei: indem | ||||||
04 | er glaubt, durch Herumtappen in Versuchen und Erfahrungen, ohne sich | ||||||
05 | gewisse Principien (die eigentlich das ausmachen, was man Theorie nennt) | ||||||
06 | zu sammeln und ohne sich ein Ganzes (welches, wenn dabei methodisch | ||||||
07 | verfahren wird, System heißt) über sein Geschäft gedacht zu haben, weiter | ||||||
08 | kommen zu können, als ihn die Theorie zu bringen vermag. | ||||||
09 | Indeß ist doch noch eher zu dulden, daß ein Unwissender die Theorie | ||||||
10 | bei seiner vermeintlichen Praxis für unnöthig und entbehrlich ausgebe, | ||||||
11 | als daß ein Klügling sie und ihren Werth für die Schule (um etwa nur | ||||||
12 | den Kopf zu üben) einräumt, dabei aber zugleich behauptet: daß es in der | ||||||
13 | Praxis ganz anders laute; daß, wenn man aus der Schule sich in die Welt | ||||||
14 | begiebt, man inne werde, leeren Idealen und philosophischen Träumen | ||||||
15 | nach gegangen zu sein; mit Einem Wort, daß, was in der Theorie sich | ||||||
16 | gut hören läßt, für die Praxis von keiner Gültigkeit sei. (Man drückt | ||||||
17 | dieses oft auch so aus: dieser oder jener Satz gilt zwar in thesi , aber nicht | ||||||
18 | in hypothesi .) Nun würde man den empirischen Maschinisten, welcher | ||||||
19 | über die allgemeine Mechanik, oder den Artilleristen, welcher über die | ||||||
20 | mathematische Lehre vom Bombenwurf so absprechen wollte, daß die | ||||||
21 | Theorie davon zwar fein ausgedacht, in der Praxis aber gar nicht gültig | ||||||
22 | sei, weil bei der Ausübung die Erfahrung ganz andere Resultate gebe als | ||||||
23 | die Theorie, nur belachen (denn wenn zu der ersten noch die Theorie der | ||||||
24 | Reibung, zur zweiten die des Widerstandes der Luft, mithin überhaupt | ||||||
25 | nur noch mehr Theorie hinzu käme, so würden sie mit der Erfahrung gar | ||||||
26 | wohl zusammen stimmen). Allein es hat doch eine ganz andere Bewandtni | ||||||
27 | mit einer Theorie, welche Gegenstände der Anschauung betrifft, als mit | ||||||
28 | derjenigen, in welcher diese nur durch Begriffe vorgestellt werden (mit | ||||||
29 | Objecten der Mathematik und Objecten der Philosophie): welche letzteren | ||||||
30 | vielleicht ganz wohl und ohne Tadel (von Seiten der Vernunft) gedacht, | ||||||
31 | aber vielleicht gar nicht gegeben werden können, sondern wohl bloß leere | ||||||
32 | Ideen sein mögen, von denen in der Praxis entweder gar kein, oder sogar | ||||||
33 | ein ihr nachtheiliger Gebrauch gemacht werden würde. Mithin könnte jener | ||||||
34 | Gemeinspruch doch wohl in solchen Fällen seine gute Richtigkeit haben. | ||||||
35 | Allein in einer Theorie, welche auf dem Pflichtbegriff gegründet | ||||||
36 | ist, fällt die Besorgniß wegen der leeren Idealität dieses Begriffs ganz | ||||||
37 | weg. Denn es würde nicht Pflicht sein, auf eine gewisse Wirkung unsers | ||||||
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