Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 267 |
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Text (Kant):
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| 01 | nicht fühlt, vornehmlich nicht vor Gott (wo diese List ohnedas ungereimt | ||||||
| 02 | ist): diese Eigenschaften sind es, welche den Vorzug des redlichen Mannes | ||||||
| 03 | in der Person Hiobs vor dem religiösen Schmeichler im göttlichen Richterausspruch | ||||||
| 04 | entschieden haben. | ||||||
| 05 | Der Glauben aber, der ihm durch eine so befremdliche Auflösung | ||||||
| 06 | seiner Zweifel, nämlich bloß die Überführung von seiner Unwissenheit, | ||||||
| 07 | entsprang, konnte auch nur in die Seele eines Mannes kommen, der mitten | ||||||
| 08 | unter seinen lebhaftesten Zweifeln sagen konnte ( |
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| 09 | mein Ende kommt, will ich nicht weichen von meiner Frömmigkeit" etc. | ||||||
| 10 | denn mit dieser Gesinnung bewies er, daß er nicht seine Moralität auf | ||||||
| 11 | den Glauben, sondern den Glauben auf die Moralität gründete: in | ||||||
| 12 | welchem Falle dieser, so schwach er auch sein mag, doch allein lauter und | ||||||
| 13 | ächter Art, d. i. von derjenigen Art ist, welche eine Religion nicht der | ||||||
| 14 | Gunstbewerbung, sondern des guten Lebenswandels gründet. | ||||||
| 15 | Schlußanmerkung. |
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| 16 | Die Theodicee hat es, wie hier gezeigt worden, nicht sowohl mit einer | ||||||
| 17 | Aufgabe zum Vortheil der Wissenschaft, als vielmehr mit einer Glaubenssache | ||||||
| 18 | zu thun. Aus der authentischen sahen wir: daß es in solchen Dingen | ||||||
| 19 | nicht so viel aufs Vernünfteln ankomme, als auf Aufrichtigkeit in Bemerkung | ||||||
| 20 | des Unvermögens unserer Vernunft und auf die Redlichkeit, seine | ||||||
| 21 | Gedanken nicht in der Aussage zu verfälschen, geschehe dies auch in noch | ||||||
| 22 | so frommer Absicht, als es immer wolle. - Dieses veranlaßt noch folgende | ||||||
| 23 | kurze Betrachtung über einen reichhaltigen Stoff, nämlich über die Aufrichtigkeit | ||||||
| 24 | als das Haupterforderniß in Glaubenssachen im Widerstreite | ||||||
| 25 | mit dem Hange zur Falschheit und Unlauterkeit, als dem Hauptgebrechen | ||||||
| 26 | in der menschlichen Natur. | ||||||
| 27 | Daß das, was Jemand sich selbst oder einem Andern sagt, wahr sei: | ||||||
| 28 | dafür kann er nicht jederzeit stehen (denn er kann irren); dafür aber | ||||||
| 29 | kann und muß er stehen, daß sein Bekenntniß oder Geständni | ||||||
| 30 | wahrhaft sei: denn dessen ist er sich unmittelbar bewußt. Er vergleicht | ||||||
| 31 | nämlich im erstern Falle seine Aussage mit dem Object im logischen Urtheile | ||||||
| 32 | (durch den Verstand); im zweiten Fall aber, da er sein Fürwahrhalten | ||||||
| 33 | bekennt, mit dem Subject (vor dem Gewissen). Thut er das Bekenntniß | ||||||
| 34 | in Ansehung des erstern, ohne sich des letztern bewußt zu sein: | ||||||
| 35 | so lügt er, weil er etwas anders vorgiebt, als wessen er sich bewußt ist. | ||||||
| 36 | Die Bemerkung, daß es solche Unlauterkeit im menschlichen Herzen gebe, | ||||||
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