Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 266

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gerade Freimüthigkeit, die sich so weit von falscher Schmeichelei entfernt,      
  02 daß sie fast an Vermessenheit gränzt, sehr zum Vortheil des letztern ab.      
  03 "Wollt ihr," sagt er*), "Gott vertheidigen mit Unrecht? Wollt ihr seine      
  04 Person ansehen? Wollt ihr Gott vertreten? Er wird euch strafen, wenn      
  05 ihr Personen anseht heimlich! - Es kommt kein Heuchler vor Ihn."      
           
  06 Das letztere bestätigt der Ausgang der Geschichte wirklich. Denn      
  07 Gott würdigt Hiob, ihm die Weisheit seiner Schöpfung vornehmlich von      
  08 Seiten ihrer Unerforschlichkeit vor Augen zu stellen. Er läßt ihn Blicke      
  09 auf die schöne Seite der Schöpfung thun, wo dem Menschen begreifliche      
  10 Zwecke die Weisheit und gütige Vorsorge des Welturhebers in ein unzweideutiges      
  11 Licht stellen; dagegen aber auch auf die abschreckende, indem      
  12 er ihm Producte seiner Macht und darunter auch schädliche, furchtbare      
  13 Dinge hernennt, deren jedes für sich und seine Species zwar zweckmäßig eingerichtet,      
  14 in Ansehung anderer aber und selbst der Menschen zerstörend,      
  15 zweckwidrig und mit einem allgemeinen durch Güte und Weisheit angeordneten      
  16 Plane nicht zusammenstimmend zu sein scheint; wobei er aber doch      
  17 die den weisen Welturheber verkündigende Anordnung und Erhaltung      
  18 des Ganzen beweiset, obzwar zugleich seine für uns unerforschliche Wege      
  19 selbst schon in der physischen Ordnung der Dinge, wie vielmehr denn in      
  20 der Verknüpfung derselben mit der moralischen (die unsrer Vernunft noch      
  21 undurchdringlicher ist) verborgen sein müssen. - Der Schluß ist dieser:      
  22 daß, indem Hiob gesteht, nicht etwa frevelhaft, denn er ist sich seiner      
  23 Redlichkeit bewußt, sondern nur unweislich über Dinge abgesprochen zu      
  24 haben, die ihm zu hoch sind, und die er nicht versteht, Gott das Verdammungsurtheil      
  25 wider seine Freunde fällt, weil sie nicht so gut (der Gewissenhaftigkeit      
  26 nach) von Gott geredet hätten als sein Knecht Hiob. Betrachtet      
  27 man nun die Theorie, die jede von beiden Seiten behauptete: so      
  28 möchte die seiner Freunde eher den Anschein mehrerer speculativen Vernunft      
  29 und frommer Demuth bei sich führen; und Hiob würde wahrscheinlicher      
  30 Weise vor einem jeden Gerichte dogmatischer Theologen, vor      
  31 einer Synode, einer Inquisition, einer ehrwürdigen Classis, oder einem      
  32 jeden Oberconsistorium unserer Zeit (ein einziges ausgenommen), ein      
  33 schlimmes Schicksal erfahren haben. Also nur die Aufrichtigkeit des Herzens,      
  34 nicht der Vorzug der Einsicht, die Redlichkeit, seine Zweifel unverhohlen      
  35 zu gestehen, und der Abscheu, Überzeugung zu heucheln, wo man sie doch      
           
    *) Hiob XIII 7 bis 11; 16.      
           
     

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