Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 261

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 a) Daß das Vorgeben von der Straflosigkeit der Lasterhaften in der      
  02 Welt keinen Grund habe, weil jedes Verbrechen seiner Natur gemäß schon      
  03 hier die ihm angemessene Strafe bei sich führe, indem die innern Vorwürfe      
  04 des Gewissens den Lasterhaften ärger noch als Furien plagen.      
  05 Allein in diesem Urtheile liegt offenbar ein Mißverstand. Denn der      
  06 tugendhafte Mann leiht hierbei dem lasterhaften seinen Gemüthscharakter,      
  07 nämlich die Gewissenhaftigkeit in ihrer ganzen Strenge, welche, je tugendhafter      
  08 der Mensch ist, ihn desto härter wegen der geringsten Übereilung,      
  09 welche das sittliche Gesetz in ihm mißbilligt, bestraft. Allein wo diese      
  10 Denkungsart und mit ihr die Gewissenhaftigkeit gar fehlt, da fehlt auch      
  11 der Peiniger für begangene Verbrechen; und der Lasterhafte, wenn er nur      
  12 den äußern Züchtigungen wegen seiner Frevelthaten entschlüpfen kann,      
  13 lacht über die Ängstlichkeit der Redlichen sich mit selbsteigenen Verweisen      
  14 innerlich zu plagen; die kleinen Vorwürfe aber, die er sich bisweilen      
  15 machen mag, macht er sich entweder gar nicht durchs Gewissen, oder, hat      
  16 er davon noch etwas in sich, so werden sie durch das Sinnenvergnügen,      
  17 als woran er allein Geschmack findet, reichlich aufgewogen und vergütet.      
  18 - - Wenn jene Anklage ferner      
           
  19 b) dadurch widerlegt werden soll: daß zwar nicht zu läugnen sei, es      
  20 finde sich schlechterdings kein der Gerechtigkeit gemäßes Verhältniß zwischen      
  21 Schuld und Strafen in der Welt, und man müsse im Laufe derselben oft      
  22 ein mit schreiender Ungerechtigkeit geführtes und gleichwohl bis ans Ende      
  23 glückliches Leben mit Unwillen wahrnehmen; daß dieses aber in der Natur      
  24 liegende und nicht absichtlich veranstaltete, mithin nicht moralische Mißhelligkeit      
  25 sei, weil es eine Eigenschaft der Tugend sei, mit Widerwärtigkeit      
  26 zu ringen (wozu der Schmerz, den der Tugendhafte durch die Vergleichung      
  27 seines eigenen Unglücks mit dem Glück des Lasterhaften leiden      
  28 muß, mitgehört), und die Leiden den Werth der Tugend nur zu erheben      
  29 dienen, mithin vor der Vernunft diese Dissonanz der unverschuldeten Übel      
  30 des Lebens doch in den herrlichsten sittlichen Wohllaut aufgelöset werde:      
  31 - so steht dieser Auflösung entgegen: daß, obgleich diese Übel, wenn sie      
  32 als Wetzstein der Tugend vor ihr vorhergehen oder sie begleiten, zwar      
  33 mit ihr als in moralischer Übereinstimmung stehend vorgestellt werden      
  34 können, wenn wenigstens das Ende des Lebens noch die letztere krönt und      
  35 das Laster bestraft; daß aber, wenn selbst dieses Ende, wie doch die Erfahrung      
  36 davon viele Beispiele giebt, widersinnig ausfällt, dann das Leiden      
  37 dem Tugendhaften, nicht damit seine Tugend rein sei, sondern weil sie      
           
     

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