Kant: AA VIII, Über den Gebrauch ... , Seite 180 |
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01 | nicht blos im Vergleichungssystem, sondern im Erzeugungssystem aus gemeinschaftlichem | ||||||
02 | Stamme) gehenden Naturkette*) organischer Wesen" | ||||||
03 | diese würden zwar nicht machen, daß der Naturforscher davor, als vor | ||||||
04 | einem Ungeheuer (S. 75), zurückbebte (denn es ist ein Spiel, womit sich | ||||||
05 | wohl mancher irgend einmal unterhalten hat, das er aber, weil damit | ||||||
06 | nichts ausgerichtet wird, wieder aufgab), er würde aber doch davon durch | ||||||
07 | die Betrachtung zurückgescheucht werden, daß er sich hiedurch unvermerkt | ||||||
08 | von dem fruchtbaren Boden der Naturforschung in die Wüste der Metaphysik | ||||||
09 | verirre. Zudem kenne ich noch eine eben nicht (S. 75) unmännliche | ||||||
10 | Furcht, nämlich vor allem zurückzubeben, was die Vernunft von ihren | ||||||
11 | ersten Grundsätzen abspannt und ihr es erlaubt macht, in grenzlosen Einbildungen | ||||||
12 | herumzuschweifen. Vielleicht hat Hr. F. auch hiedurch nur irgend | ||||||
13 | einem Hypermetaphysiker (denn dergleichen giebts auch, die nämlich | ||||||
14 | die Elementarbegriffe nicht kennen, die sie auch zu verachten sich anstellen | ||||||
15 | und doch heroisch auf Eroberungen ausgehen) einen Gefallen thun | ||||||
16 | und Stoff für dessen Phantasie geben wollen, um sich hernach hierüber zu | ||||||
17 | belustigen. | ||||||
18 | Wahre Metaphysik kennt die Grenzen der menschlichen Vernunft | ||||||
19 | und unter anderen diesen ihren Erbfehler, den sie nie verläugnen kann: | ||||||
20 | daß sie schlechterdings keine Grundkräfte a priori erdenken kann und darf | ||||||
21 | (weil sie alsdann lauter leere Begriffe aushecken würde), sondern nichts | ||||||
22 | weiter thun kann, als die, so ihr die Erfahrung lehrt (so fern sie nur dem | ||||||
23 | Anscheine nach verschieden, im Grunde aber identisch sind), auf die kleinstmögliche | ||||||
24 | Zahl zurück zu führen und die dazu gehörige Grundkraft, wenns | ||||||
25 | die Physik gilt, in der Welt, wenn es aber die Metaphysik angeht (nämlich | ||||||
26 | die nicht weiter abhängige anzugeben), allenfalls außer der Welt zu | ||||||
27 | suchen. Von einer Grundkraft aber (da wir sie nicht anders als durch die | ||||||
28 | Beziehung einer Ursache auf eine Wirkung kennen) können dir keinen | ||||||
29 | andern Begriff geben und keine Benennung dafür ausfinden, als der von der | ||||||
30 | Wirkung hergenommen ist und gerade nur diese Beziehung ausdrückt**). | ||||||
*) Über diese vornehmlich durch Bonnet sehr beliebt gewordene Idee verdient des Hrn. Prof. Blumenbach Erinnerung (Handbuch der Naturgeschichte 1779. Vorrede § 7) gelesen zu werden. Dieser einsehende Mann legt auch den Bildungstrieb, durch den er so viel Licht in die Lehre der Zeugungen gebracht hat, nicht der unorganischen Materie, sondern nur den Gliedern organisirter Wesen bei. | |||||||
**) Z. B. die Einbildung im Menschen ist eine Wirkung, die wir mit andern Wirkungen des Gemüths nicht als einerlei erkennen. Die Kraft, die sich | |||||||
darauf bezieht, kann daher nicht anders als Einbildungskraft (als Grundkraft) genannt werden. Eben so sind unter dem Titel der bewegenden Kräfte Zurückstoßungs und Anziehungskraft Grundkräfte. Zu der Einheit der Substanz haben Verschiedene geglaubt eine einige Grundkraft annehmen zu müssen und haben sogar gemeint sie zu erkennen, indem sie blos den gemeinschaftlichen Titel verschiedener Grundkräfte nannten, z. B. die einzige Grundkraft der Seele sei Vorstellungskraft der Welt; gleich als ob ich sagte: die einzige Grundkraft der Materie ist bewegende Kraft, weil Zurückstoßung und Anziehung beide unter dem gemeinschaftlichen Begriffe der Bewegung stehen. Man verlangt aber zu wissen, ob sie auch von dieser abgeleitet werden können, welches unmöglich ist. Denn die niedrigern Begriffe können nach dem, was sie Verschiedenes haben, von dem höheren niemals abgeleitet werden; und was die Einheit der Substanz betrifft, von der es scheint, daß sie die Einheit der Grundkraft schon in ihrem Begriffe bei sich führe, so beruht diese Täuschung auf einer unrichtigen Definition der Kraft. Denn diese ist nicht das, was den Grund der Wirklichkeit der Accidenzen enthält (das ist die Substanz), sondern ist blos das Verhältniß der Substanz zu den Accidenzen, so fern sie den Grund ihrer Wirklichkeit enthält. Es können aber der Substanz (unbeschadet ihrer Einheit) verschiedene Verhältnisse gar wohl beigelegt werden. | |||||||
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