Kant: AA VIII, Über den Gebrauch ... , Seite 159

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wenn man unter Natur den Inbegriff von allem versteht, was nach      
  02 Gesetzen bestimmt existirt, die Welt (als eigentlich sogenannte Natur) mit      
  03 ihrer obersten Ursache zusammengenommen, so kann es die Naturforschung      
  04 (die im ersten Falle Physik, im zweiten Metaphysik heißt) auf zwei Wegen      
  05 versuchen, entweder auf dem blos theoretischen, oder auf dem teleologischen      
  06 Wege, auf dem letztern aber, als Physik, nur solche Zwecke,      
  07 die uns durch Erfahrung bekannt werden können, als Metaphysik dagegen      
  08 ihrem Berufe angemessen nur einen Zweck, der durch reine Vernunft      
  09 fest steht, zu ihrer Absicht gebrauchen. Ich habe anderwärts gezeigt, da      
  10 die Vernunft in der Metaphysik auf dem theoretischen Naturwege (in Ansehung      
  11 der Erkenntniß Gottes) ihre ganze Absicht nicht nach Wunsch erreichen      
  12 könne, und ihr also nur noch der teleologische übrig sei; so doch,      
  13 daß nicht die Naturzwecke, die nur auf Beweisgründen der Erfahrung      
  14 beruhen, sondern ein a priori durch reine praktische Vernunft bestimmt      
  15 gegebener Zweck (in der Idee des höchsten Guts) den Mangel der unzulänglichen      
  16 Theorie ergänzen müsse. Eine ähnliche Befugniß, ja Bedürfniß,      
  17 von einem teleologischen Princip auszugehen, wo uns die Theorie verläßt,      
  18 habe ich in einem kleinen Versuche über die Menschenracen zu beweisen      
  19 gesucht. Beide Fälle aber enthalten eine Forderung, der der Verstand sich      
  20 ungern unterwirft, und die Anlaß genug zum Mißverstande geben kann.      
           
  21 Mit Recht ruft die Vernunft in aller Naturuntersuchung zuerst nach      
  22 Theorie und nur später nach Zweckbestimmung. Den Mangel der erstern      
  23 kann keine Teleologie noch praktische Zweckmäßigkeit ersetzen. Wir bleiben      
  24 immer unwissend in Ansehung der wirkenden Ursachen, wenn wir gleich die      
  25 Angemessenheit unserer Voraussetzung mit Endursachen, es sei der Natur      
  26 oder unsers Willens, noch so einleuchtend machen können. Am meisten      
  27 scheint diese Klage da gegründet zu sein, wo (wie in jenem metaphysischen      
  28 Falle) sogar praktische Gesetze voran gehen müssen, um den Zweck allererst      
  29 anzugeben, dem zum Behuf ich den Begriff einer Ursache zu bestimmen      
  30 gedenke, der auf solche Art die Natur des Gegenstandes gar nichts anzugehen,      
           
     

[ Seite 157 ] [ Seite 160 ] [ Inhaltsverzeichnis ]