Kant: AA VIII, Was heißt: Sich im Denken ... , Seite 137

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 unserer Vernunft denken; denn ohne diese Vorsicht würden wir von einem      
  02 solchen Begriffe gar keinen Gebrauch machen können, sondern schwärmen,      
  03 anstatt zu denken.      
           
  04 Allein hiedurch, nämlich durch den bloßen Begriff, ist doch noch nichts      
  05 in Ansehung der Existenz dieses Gegenstandes und der wirklichen Verknüpfung      
  06 desselben mit der Welt (dem Inbegriffe aller Gegenstände möglicher      
  07 Erfahrung) ausgerichtet. Nun aber tritt das Recht des Bedürfnisses      
  08 der Vernunft ein, als eines subjectiven Grundes etwas      
  09 vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objective Gründe zu wissen      
  10 sich nicht anmaßen darf; und folglich sich im Denken, im Unermeßlichen      
  11 und für uns mit dicker Nacht erfüllten Raume des Übersinnlichen, lediglich      
  12 durch ihr eigenes Bedürfniß zu orientiren.      
           
  13 Es läßt sich manches Übersinnliche denken (denn Gegenstände der      
  14 Sinne füllen doch nicht das ganze Feld aller Möglichkeit aus), wo die      
  15 Vernunft gleichwohl kein Bedürfniß fühlt, sich bis zu demselben zu erweitern,      
  16 viel weniger dessen Dasein anzunehmen. Die Vernunft findet an      
  17 den Ursachen in der Welt, welche sich den Sinnen offenbaren (oder wenigstens      
  18 von derselben Art sind, als die, so sich ihnen offenbaren), Beschäftigung      
  19 genug, um nicht den Einfluß reiner geistiger Naturwesen zu deren Behuf      
  20 nöthig zu haben, deren Annehmung vielmehr ihrem Gebrauche nachtheilig      
  21 sein würde. Denn da wir von den Gesetzen, nach welchen solche Wesen      
  22 wirken mögen, nichts, von jenen aber, nämlich den Gegenständen der      
  23 Sinne, vieles wissen, wenigstens noch zu erfahren hoffen können: so würde      
  24 durch solche Voraussetzung dem Gebrauche der Vernunft vielmehr Abbruch      
  25 geschehen. Es ist also gar kein Bedürfniß, es ist vielmehr bloßer Vorwitz,      
  26 der auf nichts als Träumerei ausläuft, darnach zu forschen, oder mit Hirngespinsten      
  27 der Art zu spielen. Ganz anders ist es mit dem Begriffe von      
  28 einem ersten Urwesen, als oberster Intelligenz und zugleich als dem      
  29 höchsten Gute, bewandt. Denn nicht allein, daß unsere Vernunft schon      
  30 ein Bedürfniß fühlt, den Begriff des Uneingeschränkten dem Begriffe      
  31 alles Eingeschränkten, mithin aller anderen Dinge*) zum Grunde zu      
  32 *) Da die Vernunft zur Möglichkeit aller Dinge Realität als gegeben vorauszusetzen      
           
    bedarf und die Verschiedenheit der Dinge durch ihnen anhängende Negationen nur als Schranken betrachtet: so sieht sie sich genöthigt, eine einzige Möglichkeit, nämlich die des uneingeschränkten Wesens, als ursprünglich zum Grunde zu legen, alle anderen aber als abgeleitet zu betrachten. Da auch die durchgängige Möglichkeit eines jeden Dinges durchaus im Ganzen aller Existenz angetroffen [Seitenumbruch] werden muß, wenigstens der Grundsatz der durchgängigen Bestimmung die Unterscheidung des Möglichen vom Wirklichen unserer Vernunft nur auf solche Art möglich macht: so finden wir einen subjectiven Grund der Nothwendigkeit, d. i. ein Bedürfniß unserer Vernunft selbst, aller Möglichkeit das Dasein eines allerrealsten (höchsten) Wesens zum Grunde zu legen. So entspringt nun der cartesianische Beweis vom Dasein Gottes, indem subjective Gründe etwas für den Gebrauch der Vernunft (der im Grunde immer nur ein Erfahrungsgebrauch bleibt) voraus zu setzen für objectiv - mithin Bedürfniß für Einsicht - gehalten werden. So ist es mit diesem, so ist es mit allen Beweisen des würdigen Mendelssohn in seinen Morgenstunden bewandt. Sie leisten nichts zum Behuf einer Demonstration. Darum sind sie aber keinesweges unnütz. Denn nicht zu erwähnen, welchen schönen Anlaß diese überaus scharfsinnigen Entwickelungen der subjectiven Bedingungen des Gebrauchs unserer Vernunft zu der vollständigen Erkenntniß dieses unsers Vermögens geben, als zu welchem Behuf sie bleibende Beispiele sind: so ist das Fürwahrhalten aus subjectiven Gründen des Gebrauchs der Vernunft, wenn uns objective mangeln und wir dennoch zu Urtheilen genöthigt sind, immer noch von großer Wichtigkeit; nur müssen wir das, was nur abgenöthigte Voraussetzung ist, nicht für freie Einsicht ausgeben, um dem Gegner, mit dem wir uns aufs Dogmatisiren eingelassen haben, nicht ohne Noth Schwächen darzubieten, deren er sich zu unserem Nachtheil bedienen kann. Mendelssohn dachte wohl nicht daran, daß das Dogmatisiren mit der reinen Vernunft im Felde des Übersinnlichen der gerade Weg zur philosophischen Schwärmerei sei, und daß nur Kritik eben desselben Vernunftvermögens diesem Übel gründlich abhelfen könne. Zwar kann die Disciplin der scholastischen Methode (der Wolffischen z. B., die er darum auch anrieth), da alle Begriffe durch Definitionen bestimmt und alle Schritte durch Grundsätze gerechtfertigt werden müssen, diesen Unfug wirklich eine Zeit lang hemmen, aber keinesweges gänzlich abhalten. Denn mit welchem Rechte will man der Vernunft, der es einmal in jenem Felde seinem eigenen Geständnisse nach so wohl gelungen ist, verwehren, in eben demselben noch weiter zu gehen? Und wo ist dann die Gränze, wo sie stehen bleiben muß?      
           
     

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