Kant: AA VIII, Bestimmung des Begriffs einer ... , Seite 097 |
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01 | jene von der Ersparung entbehrlicher Principien einschränkt, nämlich: da | ||||||
02 | in der ganzen organischen Natur bei allen Veränderungen einzelner Geschöpfe | ||||||
03 | die Species derselben sich unverändert erhalten (nach der Formel | ||||||
04 | der Schulen: quaelibet natura est conservatrix sui ). Nun ist es klar: daß, | ||||||
05 | wenn der Zauberkraft der Einbildung, oder der Künstelei der Menschen | ||||||
06 | an thierischen Körpern ein Vermögen zugestanden würde, die Zeugungskraft | ||||||
07 | selbst abzuändern, das uranfängliche Modell der Natur umzuformen, | ||||||
08 | oder durch Zusätze zu verunstalten, die gleichwohl nachher beharrlich in | ||||||
09 | den folgenden Zeugungen aufbehalten würden, man gar nicht mehr wissen | ||||||
10 | würde, von welchem Originale die Natur ausgegangen sei, oder wie weit | ||||||
11 | es mit der Abänderung desselben gehen könne, und, da der Menschen Einbildung | ||||||
12 | keine Gränzen erkennt, in welche Fratzengestalt die Gattungen | ||||||
13 | und Arten zuletzt noch verwildern dürften. Dieser Erwägung gemäß | ||||||
14 | nehme ich es mir zum Grundsatze: gar keinen in das Zeugungsgeschäft der | ||||||
15 | Natur pfuschenden Einfluß der Einbildungskraft gelten zu lassen und kein | ||||||
16 | Vermögen der Menschen, durch äußere Künstelei Abänderungen in dem | ||||||
17 | alten Original der Gattungen oder Arten zu bewirken, solche in die | ||||||
18 | Zeugungskraft zu bringen und erblich zu machen. Denn lasse ich auch nur | ||||||
19 | einen Fall dieser Art zu, so ist es, als ob ich auch nur eine einzige Gespenstergeschichte | ||||||
20 | oder Zauberei einräumte. Die Schranken der Vernunft | ||||||
21 | sind dann einmal durchbrochen, und der Wahn drängt sich bei Tausenden | ||||||
22 | durch dieselbe Lücke durch. Es ist auch keine Gefahr, daß ich bei diesem | ||||||
23 | Entschlusse mich vorsetzlich gegen wirkliche Erfahrungen blind oder, welches | ||||||
24 | einerlei ist, verstockt ungläubig machen würde. Denn alle dergleichen | ||||||
25 | abenteuerliche Eräugnisse tragen ohne Unterschied das Kennzeichen an sich, | ||||||
26 | da sie gar kein Experiment verstatten, sondern nur durch Aufhaschung | ||||||
27 | zufälliger Wahrnehmungen bewiesen sein wollen. Was aber von der Art | ||||||
28 | ist, daß es, ob es gleich des Experiments gar wohl fähig ist, dennoch kein | ||||||
29 | einziges aushält, oder ihm mit allerlei Vorwand beständig ausweicht: das | ||||||
30 | ist nichts als Wahn und Erdichtung. Dies sind meine Gründe, warum ich | ||||||
31 | einer Erklärungsart nicht beitreten kann, die dem schwärmerischen Hange | ||||||
32 | zur magischen Kunst, welcher jede, auch die kleinste Bemäntelung erwünscht | ||||||
33 | kommt, im Grunde Vorschub thut: daß nämlich das Anarten, selbst auch | ||||||
34 | nur das zufällige, welches nicht immer gelingt, jemals die Wirkung | ||||||
35 | einer anderen Ursache, als der in der Gattung selbst liegenden Keime und | ||||||
36 | Anlagen sein könne. | ||||||
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