Kant: AA VIII, Beantwortung der Frage: Was ist ... , Seite 040

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn      
  02 sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesammten      
  03 Volkswillen in dem seinigen vereinigt. Wenn er nur darauf sieht, da      
  04 alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung      
  05 zusammen bestehe: so kann er seine Unterthanen übrigens nur selbst      
  06 machen lassen, was sie um ihres Seelenheils willen zu thun nöthig finden;      
  07 das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, daß nicht einer den andern      
  08 gewaltthätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach      
  09 allem seinem Vermögen zu arbeiten. Es thut selbst seiner Majestät Abbruch,      
  10 wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch seine      
  11 Unterthanen ihre Einsichten ins Reine zu bringen suchen, seiner Regierungsaufsicht      
  12 würdigt, sowohl wenn er dieses aus eigener höchsten Einsicht thut,      
  13 wo er sich dem Vorwurfe aussetzt: Caesar non est supra grammaticos,      
  14 als auch und noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt so weit erniedrigt,      
  15 den geistlichen Despotism einiger Tyrannen in seinem Staate      
  16 gegen seine übrigen Unterthanen zu unterstützen.      
           
  17 Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten      
  18 Zeitalter? So ist die Antwort: nein, aber wohl in einem Zeitalter der      
  19 Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen      
  20 genommen, schon im Stande wären, oder darin auch nur gesetzt werden      
  21 könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung      
  22 eines andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein      
  23 daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten,      
  24 und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus      
  25 ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit allmählig weniger werden, davon      
  26 haben wir doch deutliche Anzeigen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter      
  27 das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friedrichs.      
           
  28 Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet, zu sagen: daß er es      
  29 für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben,      
  30 sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmüthigen      
  31 Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufgeklärt und      
  32 verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen      
  33 zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit wenigstens      
  34 von Seiten der Regierung entschlug und jedem frei ließ, sich in      
  35 allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen.      
  36 Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche unbeschadet      
  37 ihrer Amtspflicht ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden      
           
     

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