Kant: AA VIII, Idee zu einer allgemeinen ... , Seite 030

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ferner allenthalben nur auf die bürgerliche Verfassung und deren Gesetze      
  02 und auf das Staatsverhältniß Acht hat, in so fern beide durch das Gute,      
  03 welches sie enthielten, eine zeitlang dazu dienten, Völker (mit ihnen auch      
  04 Künste und Wissenschaften) empor zu heben und zu verherrlichen, durch      
  05 das Fehlerhafte aber, das ihnen anhing, sie wiederum zu stürzen, so doch,      
  06 daß immer ein Keim der Aufklärung übrig blieb, der, durch jede Revolution      
  07 mehr entwickelt, eine folgende noch höhere Stufe der Verbesserung vorbereitete:      
  08 so wird sich, wie ich glaube, ein Leitfaden entdecken, der nicht      
  09 bloß zur Erklärung des so verworrenen Spiels menschlicher Dinge, oder      
  10 zur politischen Wahrsagerkunst künftiger Staatsveränderungen dienen kann      
  11 (ein Nutzen, den man schon sonst aus der Geschichte der Menschen, wenn      
  12 man sie gleich als unzusammenhängende Wirkung einer regellosen Freiheit      
  13 ansah, gezogen hat!); sondern es wird (was man, ohne einen Naturplan      
  14 vorauszusetzen, nicht mit Grunde hoffen kann) eine tröstende Aussicht in      
  15 die Zukunft eröffnet werden, in welcher die Menschengattung in weiter      
  16 Ferne vorgestellt wird, wie sie sich endlich doch zu dem Zustande empor      
  17 arbeitet, in welchem alle Keime, die die Natur in sie legte, völlig können      
  18 entwickelt und ihre Bestimmung hier auf Erden kann erfüllt werden. Eine      
  19 solche Rechtfertigung der Natur - oder besser der Vorsehung      
  20 ist kein unwichtiger Bewegungsgrund, einen besonderen Gesichtspunkt der      
  21 Weltbetrachtung zu wählen. Denn was hilfts, die Herrlichkeit und Weisheit      
  22 der Schöpfung im vernunftlosen Naturreiche zu preisen und der Betrachtung      
  23 zu empfehlen, wenn der Theil des großen Schauplatzes der obersten      
  24 Weisheit, der von allem diesem den Zweck enthält, - die Geschichte des      
  25 menschlichen Geschlechts - ein unaufhörlicher Einwurf dagegen bleiben soll,      
  26 dessen Anblick uns nöthigt unsere Augen von ihm mit Unwillen wegzuwenden      
  27 und, indem wir verzweifeln jemals darin eine vollendete vernünftige Absicht      
  28 anzutreffen, uns dahin bringt, sie nur in einer andern Welt zu hoffen?      
           
  29 Daß ich mit dieser Idee einer Weltgeschichte, die gewissermaßen einen      
  30 Leitfaden a priori hat, die Bearbeitung der eigentlichen bloß empirisch      
  31 abgefaßten Historie verdrängen wollte: wäre Mißdeutung meiner Absicht;      
  32 es ist nur ein Gedanke von dem, was ein philosophischer Kopf (der übrigens      
  33 sehr geschichtskundig sein müßte) noch aus einem anderen Standpunkte      
  34 versuchen könnte. Überdem muß die sonst rühmliche Umständlichkeit,      
  35 mit der man jetzt die Geschichte seiner Zeit abfaßt, doch einen jeden      
  36 natürlicher Weise auf die Bedenklichkeit bringen: wie es unsere späten      
  37 Nachkommen anfangen werden, die Last von Geschichte, die wir ihnen nach      
           
     

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