Kant: AA VIII, Idee zu einer allgemeinen ... , Seite 028

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 zu fühlen. Diese Freiheit geht aber allmählig weiter. Wenn      
  02 man den Bürger hindert, seine Wohlfahrt auf alle ihm selbst beliebige Art,      
  03 die nur mit der Freiheit anderer zusammen bestehen kann, zu suchen: so      
  04 hemmt man die Lebhaftigkeit des durchgängigen Betriebes und hiemit      
  05 wiederum die Kräfte des Ganzen. Daher wird die persönliche Einschränkung      
  06 in seinem Thun und Lassen immer mehr aufgehoben, die allgemeine      
  07 Freiheit der Religion nachgegeben; und so entspringt allmählig mit unterlaufendem      
  08 Wahne und Grillen Aufklärung, als ein großes Gut,      
  09 welches das menschliche Geschlecht sogar von der selbstsüchtigen Vergrößerungsabsicht      
  10 seiner Beherrscher ziehen muß, wenn sie nur ihren eigenen      
  11 Vortheil verstehen. Diese Aufklärung aber und mit ihr auch ein gewisser      
  12 Herzensantheil, den der aufgeklärte Mensch am Guten, das er vollkommen      
  13 begreift, zu nehmen nicht vermeiden kann, muß nach und nach bis zu den      
  14 Thronen hinauf gehen und selbst auf ihre Regierungsgrundsätze Einfluß      
  15 haben. Obgleich z. B. unsere Weltregierer zu öffentlichen Erziehungsanstalten      
  16 und überhaupt zu allem, was das Weltbeste betrifft, für jetzt kein      
  17 Geld übrig haben, weil alles auf den künftigen Krieg schon zum voraus      
  18 verrechnet ist: so werden sie doch ihren eigenen Vortheil darin finden, die      
  19 obzwar schwachen und langsamen eigenen Bemühungen ihres Volks in      
  20 diesem Stücke wenigstens nicht zu hindern. Endlich wird selbst der Krieg      
  21 allmählig nicht allein ein so künstliches, im Ausgange von beiden Seiten so      
  22 unsicheres, sondern auch durch die Nachwehen, die der Staat in einer immer      
  23 anwachsenden Schuldenlast (einer neuen Erfindung) fühlt, deren Tilgung      
  24 unabsehlich wird, ein so bedenkliches Unternehmen, dabei der Einfluß, den      
  25 jede Staatserschütterung in unserem durch seine Gewerbe so sehr verketteten      
  26 Welttheil auf alle andere Staaten thut, so merklich: daß sich diese, durch ihre      
  27 eigene Gefahr gedrungen, obgleich ohne gesetzliches Ansehen, zu Schiedsrichtern      
  28 anbieten und so alles von weitem zu einem künftigen großen Staatskörper      
  29 anschicken, wovon die Vorwelt kein Beispiel aufzuzeigen hat. Obgleich      
  30 dieser Staatskörper für jetzt nur noch sehr im rohen Entwurfe dasteht,      
  31 so fängt sich dennoch gleichsam schon ein Gefühl in allen Gliedern, deren      
  32 jedem an der Erhaltung des Ganzen gelegen ist, an zu regen; und dieses      
  33 giebt Hoffnung, daß nach manchen Revolutionen der Umbildung endlich      
  34 das, was die Natur zur höchsten Absicht hat, ein allgemeiner weltbürgerlicher      
  35 Zustand, als der Schooß, worin alle ursprüngliche Anlagen      
  36 der Menschengattung entwickelt werden, dereinst einmal zu Stande      
  37 kommen werde.      
           
           
     

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