Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 332 |
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01 | Menschen nicht blos in der alten Geschichte, sondern in der Geschichte des | ||||||
02 | Tages ins Auge nimmt, zwar oft versucht werden, misanthropisch den | ||||||
03 | Timon, weit öfterer aber und treffender den Momus in seinem Urtheile | ||||||
04 | zu machen, und Thorheit eher als Bosheit in dem Charakterzuge unserer | ||||||
05 | Gattung hervorstechend finden. Weil aber Thorheit, mit einem Liniamente | ||||||
06 | von Bosheit verbunden (da sie alsdann Narrheit heißt), in der | ||||||
07 | moralischen Physiognomik an unserer Gattung nicht zu verkennen ist: so | ||||||
08 | ist allein schon aus der Verheimlichung eines guten Theils seiner Gedanken, | ||||||
09 | die ein jeder kluge Mensch nöthig findet, klar genug zu ersehen: daß | ||||||
10 | in unserer Rasse jeder es gerathen finde, auf seiner Hut zu sein und sich | ||||||
11 | nicht ganz erblicken zu lassen, wie er ist; welches schon den Hang unserer | ||||||
12 | Gattung, übel gegen einander gesinnt zu sein, verräth. | ||||||
13 | Es könnte wohl sein: daß auf irgend einem anderen Planeten vernünftige | ||||||
14 | Wesen wären, die nicht anders als laut denken könnten, d. i. im | ||||||
15 | Wachen wie im Träumen, sie möchten in Gesellschaft oder allein sein, | ||||||
16 | keine Gedanken haben könnten, die sie nicht zugleich aussprächen. Was | ||||||
17 | würde das für ein von unserer Menschengattung verschiedenes Verhalten | ||||||
18 | gegen einander abgeben? Wenn sie nicht alle engelrein wären, so ist | ||||||
19 | nicht abzusehen, wie sie nebeneinander auskommen, einer für den anderen | ||||||
20 | nur einige Achtung haben und sich mit einander vertragen könnten. | ||||||
21 | Es gehört also schon zur ursprünglichen Zusammensetzung eines | ||||||
22 | menschlichen Geschöpfs und zu seinem Gattungsbegriffe: zwar Anderer | ||||||
23 | Gedanken zu erkunden, die seinigen aber zurückzuhalten; welche saubere | ||||||
24 | Eigenschaft denn so allmählig von Verstellung zur vorsetzlichen Täuschung, | ||||||
25 | bis endlich zur Lüge fortzuschreiten nicht ermangelt. Dieses | ||||||
26 | würde dann eine Caricaturzeichnung unserer Gattung abgeben, die nicht | ||||||
27 | blos zum gutmüthigen Belachen derselben, sondern zur Verachtung | ||||||
28 | in dem, was ihren Charakter ausmacht, und zum Geständnisse, daß diese | ||||||
29 | Rasse vernünftiger Weltwesen unter den übrigen (uns unbekannten) keine | ||||||
30 | ehrenwerthe Stelle verdiene, berechtigte*) - wenn nicht gerade eben | ||||||
*) Friedrich II fragte einmal den vortrefflichen Sulzer, den er nach Verdiensten schätzte und dem er die Direction der Schulanstalten in Schlesien aufgetragen hatte, wie es damit ginge. Sulzer antwortete: "Seitdem daß man auf dem Grundsatz (des Rousseau), daß der Mensch von Natur gut sei, fortgebauet hat, fängt es an besser zu gehen." " Ah (sagte der König) mon cher Sulzer, vous ne connaissez pas assez cette maudite race a laquelle nous appartenons. " - Zum Charakter unserer Gattung gehört auch: daß sie, zur bürgerlichen Verfassung strebend, auch [Seitenumbruch] einer Disciplin durch Religion bedarf, damit, was durch äußeren Zwang nicht erreicht werden kann, durch innern (des Gewissens) bewirkt werde; indem die moralische Anlage des Menschen von Gesetzgebern politisch benutzt wird, eine Tendenz, die zum Charakter der Gattung gehört. Wenn aber in dieser Disciplin des Volks die Moral nicht vor der Religion vorhergeht, so macht sich diese zum Meister über jene, und statuarische Religion wird ein Instrument der Staatsgewalt (Politik) unter Glaubensdespoten: ein Übel, was den Charakter unvermeidlich verstimmt und verleitet, mit Betrug (Staatsklugheit genannt) zu regieren; wovon jener große Monarch, indem er öffentlich blos der oberste Diener des Staats zu sein bekannte, seufzend in sich das Gegentheil in seinem Privatgeständniß nicht bergen konnte, doch mit der Entschuldigung für seine Person, diese Verderbtheit der schlimmen Rasse, welche Menschengattung heißt, zuzurechnen. | |||||||
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