Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 245 |
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01 | Schrift zwei Künste, darin der Geschmack sich zeigen kann: die Beredsamkeit | ||||||
02 | und Dichtkunst. | ||||||
03 | Anthropologische Bemerkungen über den Geschmack. |
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04 | A. |
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05 | Vom Modegeschmack. |
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06 | § 71. Es ist ein natürlicher Hang des Menschen, in seinem Betragen | ||||||
07 | sich mit einem bedeutendern (des Kindes mit den Erwachsenen, | ||||||
08 | des Geringeren mit den Vornehmeren) in Vergleichung zu stellen und | ||||||
09 | seine Weise nachzuahmen. Ein Gesetz dieser Nachahmung, um blos nicht | ||||||
10 | geringer zu erscheinen als Andere und zwar in dem, wobei übrigens auf | ||||||
11 | keinen Nutzen Rücksicht genommen wird, heißt Mode. Diese gehört also | ||||||
12 | unter den Titel der Eitelkeit, weil in der Absicht kein innerer Werth ist; | ||||||
13 | imgleichen der Thorheit, weil dabei doch ein Zwang ist, sich durch bloßes | ||||||
14 | Beispiel, das uns viele in der Gesellschaft geben, knechtisch leiten zu lassen. | ||||||
15 | In der Mode sein, ist eine Sache des Geschmacks; der außer der Mode | ||||||
16 | einem vorigen Gebrauch anhängt, heißt altväterisch; der gar einen | ||||||
17 | Werth darin setzt, außer der Mode zu sein, ist ein Sonderling. Besser | ||||||
18 | ist es aber doch immer, ein Narr in der Mode als ein Narr außer der | ||||||
19 | Mode zu sein, wenn man jene Eitelkeit überhaupt mit diesem harten Namen | ||||||
20 | belegen will: welchen Titel doch die Modesucht wirklich verdient, wenn | ||||||
21 | sie jener Eitelkeit wahren Nutzen oder gar Pflichten aufopfert. - Alle Moden | ||||||
22 | sind schon ihrem Begriffe nach veränderliche Lebensweisen. Denn wenn | ||||||
23 | das Spiel der Nachahmung fixirt wird, so wird diese zum Gebrauch, | ||||||
24 | wobei dann auf den Geschmack gar nicht mehr gesehen wird. Die Neuigkeit | ||||||
25 | ist es also, was die Mode beliebt macht, und erfinderisch in allerlei | ||||||
26 | äußeren Formen zu sein, wenn diese auch öfters ins Abenteuerliche und | ||||||
27 | zum Theil Häßliche ausarten, gehört zum Ton der Hofleute, vornehmlich | ||||||
28 | der Damen, denen dann Andere begierig nachfolgen und sich in niedrigen | ||||||
29 | Ständen noch lange damit schleppen, wenn jene sie schon abgelegt haben. | ||||||
30 | - Also ist die Mode eigentlich nicht eine Sache des Geschmacks (denn sie | ||||||
31 | kann äußerst geschmackwidrig sein), sondern der bloßen Eitelkeit vornehm | ||||||
32 | zu thun und des Wetteifers einander dadurch zu übertreffen. (Die elegants | ||||||
33 | de la cour, sonst petits maitres genannt, sind Windbeutel.) | ||||||
34 | Mit dem wahren, idealen Geschmack läßt sich Pracht, mithin etwas | ||||||
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