Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 135 |
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01 | Von den Vorstellungen, die wir haben, ohne uns ihrer |
[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 064) ] | |||||
02 | bewußt zu sein. |
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03 | § 5. Vorstellungen zu haben und sich ihrer doch nicht bewußt | ||||||
04 | zu sein, darin scheint ein Widerspruch zu liegen; denn wie können | ||||||
05 | wir wissen, daß wir sie haben, wenn wir uns ihrer nicht bewußt sind? | ||||||
06 | Diesen Einwurf machte schon Locke, der darum auch das Dasein solcher | ||||||
07 | Art Vorstellungen verwarf. - Allein wir können uns doch mittelbar | ||||||
08 | bewußt sein eine Vorstellung zu haben, ob wir gleich unmittelbar uns | ||||||
09 | ihrer nicht bewußt sind. - Dergleichen Vorstellungen heißen dann | ||||||
10 | dunkele; die übrigen sind klar und, wenn ihre Klarheit sich auch auf | ||||||
11 | die Theilvorstellungen eines Ganzen derselben und ihre Verbindung erstreckt, | ||||||
12 | deutliche Vorstellungen, es sei des Denkens oder der Anschauung. | ||||||
14 | Wenn ich weit von mir auf einer Wiese einen Menschen zu sehen mir | ||||||
15 | bewußt bin, ob ich gleich seine Augen, Nase, Mund u. s. w. zu sehen mir | ||||||
16 | nicht bewußt bin, so schließe ich eigentlich nur, daß dies Ding ein | ||||||
17 | Mensch sei; denn wollte ich darum, weil ich mir nicht bewußt bin, diese | ||||||
18 | Theile des Kopfs (und so auch die übrigen Theile dieses Menschen) wahrzunehmen, | ||||||
19 | die Vorstellung derselben in meiner Anschauung gar nicht zu | ||||||
20 | haben behaupten, so würde ich auch nicht sagen können, daß ich einen | ||||||
21 | Menschen sehe; denn aus diesen Theilvorstellungen ist die ganze (des Kopfs | ||||||
22 | oder des Menschen) zusammengesetzt. | ||||||
23 | Daß das Feld unserer Sinnenanschauungen und Empfindungen, | ||||||
24 | deren wir uns nicht bewußt sind, ob wir gleich unbezweifelt schließen | ||||||
25 | können, daß wir sie haben, d. i. dunkeler Vorstellungen im Menschen | ||||||
26 | (und so auch in Thieren), unermeßlich sei, die klaren dagegen nur unendlich | ||||||
27 | wenige Punkte derselben enthalten, die dem Bewußtsein offen liegen; | ||||||
28 | daß gleichsam auf der großen Karte unseres Gemüths nur wenig Stellen | ||||||
29 | illuminirt sind: kann uns Bewunderung über unser eigenes Wesen einflößen; | ||||||
30 | denn eine höhere Macht dürfte nur rufen: es werde Licht! So würde | ||||||
31 | auch ohne Zuthun des Mindesten (z. B. wenn wir einen Litterator mit | ||||||
32 | allem dem nehmen, was er in seinem Gedächtniß hat) gleichsam eine halbe | ||||||
33 | Welt ihm vor Augen liegen. Alles, was das bewaffnete Auge durchs | ||||||
34 | Teleskop (etwa am Monde) oder durchs Mikroskop (an Infusionsthierchen) | ||||||
35 | entdeckt, wird durch unsere bloßen Augen gesehen; denn diese optischen | ||||||
36 | Mittel bringen ja nicht mehr Lichtstrahlen und dadurch erzeugte Bilder | ||||||
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